„Dann ist Löschen und Blocken angesagt!“
Wie Kinder und Jugendliche auf Hass im Netz reagieren können.
Birgit Kimmel ist Leiterin der EU-Initiative „klicksafe“. Sie sagt, langfristige Prävention von Hate Speech brauche eine solide Basis: „Schon Kinder sollten gezielt lernen, in der Auseinandersetzung mit anderen konstruktives Feedback zu geben.“
Kommen Heranwachsende eigentlich oft in Kontakt mit Fake News?
Eine aktuelle Studie zeigt, Jugendliche kommen häufig mit Falschnachrichten in Berührung. Demnach werden 76 Prozent der 14- bis 24-Jährigen in Deutschland mindestens einmal pro Woche damit konfrontiert. Der Wert hat sich binnen zwei Jahren verdoppelt. Menge und Spektrum der verfügbaren Informationen haben sich deutlich vergrößert. Die Vielfalt kann für Jugendliche auch bedeuten, dass sie unbeabsichtigt mit Angeboten konfrontiert werden, die extremistischer Natur sind, verschwörungstheoretische Positionen vertreten oder Teil von Desinformations-Kampagnen sind. Ganz verschiedene Akteure wirken auf die – auch politische – Meinungsbildung Jugendlicher ein und werben um ihre Aufmerksamkeit. Für Jugendliche wird die Beurteilung einer Information dadurch immer komplizierter. Und: Desinformation wird genau mit der Absicht „hergestellt“, das Publikum zu täuschen.
Wie konsumieren Jugendliche heute Informationen?
Auf der Suche nach Informationen nutzen 88 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen in erster Linie Suchmaschinen, zwei Drittel suchen außerdem bei YouTube. Für vier von zehn Jugendlichen sind auch Online-Enzyklopädien wie Wikipedia Anlaufstelle bei der Informationssuche. Je ein Viertel der Jugendlichen nutzt Nachrichten und Informationen von Social-Media-Plattformen wie Facebook und Twitter oder von den Onlineangeboten der Zeitungen. Gerade Jugendliche befinden sich im „Informationsparadox“: Obwohl sie den Sozialen Medien keine große Glaubwürdigkeit attestieren und sich möglicher Falschmeldungen bewusst sind, nutzen sie diese als wichtigste Informationsquelle für aktuelle Themen. Jugendliche schauen immer weniger fern, beziehen ihre Nachrichten überwiegend online. Trotzdem bringen sie klassischen Medien wie dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder Zeitungen das größte Vertrauen entgegen.
Welche Möglichkeiten gibt es, Kompetenzen zum Erkennen von Falschmeldungen zu vermitteln?
Um Jugendliche darin zu unterstützen, ein kritisches Bewusstsein gegenüber Informationen zu entwickeln – egal, ob aus dem Netz, Social Media oder klassischen Medien – und um journalistische Texte beurteilen zu können, muss ihnen das nötige Grundwissen zum Aufbau von Nachrichten, über journalistische Darstellungsformen und auch über Kriterien für Qualitätsjournalismus vermittelt werden. Auch, wie man Fakten gegencheckt. Hier ist auch die Schule gefragt, zum Beispiel im Deutsch- oder Gesellschaftsunterricht.
Wissen die Kids eigentlich, was sich hinter dem Begriff „Hate Speech“ verbirgt?
Häufig können sie die Bezeichnungen Cybermobbing und Hate Speech nicht richtig unterscheiden. Sie benutzen letzteren Begriff für beide Phänomene. Hate Speech unterscheidet sich aber von anderen Formen digitaler Gewalt: Von Cybermobbing, den Shitstorms, einer allgemein verrohten Kommunikationskultur im Netz können alle in gleichem Maße betroffen sein. Hate Speech dagegen richtet sich vorwiegend gegen Personen, weil sie einer bestimmten Gruppe zugeordnet werden: aufgrund von Hautfarbe, vermeintlicher Herkunft, Religion, ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Orientierung.
Wie können Heranwachsende richtig reagieren?
Sie sollten im Umgang mit Hasskommentaren auf sich selbst achten und ihre Grenzen kennen! Es gibt genügend Leute im Netz, die ihre Hassbotschaften nur möglichst weit verbreiten wollen, egal wie. Wenn Beiträge von solchen „Dauer-Hatern“ Kindern und Jugendlichen zu nahe gehen, ist Löschen oder Blocken angesagt. Mit der „Counter Speech“, also der aktiven Gegenrede, könnten sie sich unnötigen Gefahren aussetzen. Das ist eine Sache für „die Großen“. Wenn Kinder und Jugendliche unsicher sind oder selbst angefeindet werden, dann sollten sie mit Freunden, Eltern oder anderen vertrauten Personen sprechen und sich Unterstützung holen. Was sie selbst noch tun können: Leute blocken, die sich bewusst rassistisch äußern, oder sie ganz von ihrer Freundesliste streichen.
Wo und wie können Kinder und Jugendliche den richtigen Umgang mit Hass im Netz erlernen?
Sich den Hassreden im Netz entgegenzustellen, ist zunächst einmal eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Hier sind Eltern und pädagogische Fachkräfte vor allem in ihrer Vorbildrolle gefragt. Die langfristige Prävention von Hate Speech braucht eine solide Basis. Schon Kinder sollten gezielt lernen, in der Auseinandersetzung mit anderen konstruktives Feedback zu geben. Und solches auch selbst anzunehmen. Heranwachsende müssen dabei unterstützt werden, eine sachliche, offene und wertschätzende Debattenkultur zu entwickeln. Dazu gehören echte Möglichkeiten zur Mitgestaltung ihrer insbesondere digitalen Lebenswelt. Es ist wichtig, den Wert demokratischer Prozesse selbst erleben zu können!
Wie sehen aktuell die Strategien von Extremisten im Netz aus – von Nazis, Islamisten etc.? Wie sollte man darauf reagieren?
Extremistische Propaganda richtet sich im Internet häufig gezielt an Jugendliche. Weniger religiöse oder politische Themen, vielmehr ganz alltagsbezogene Fragen stehen zunächst im Vordergrund. Die ideologischen Angebote der extremistischen Propaganda versprechen gerade jungen Menschen Orientierung, Sinn und Identität. Die extremistischen Mechanismen sind dabei so raffiniert, dass selbst Erwachsene sie auf den ersten Blick nicht durchschauen. Jugendliche, die noch auf der Suche nach der eigenen Identität und einem religiösen oder politischen Weltbild sind, fängt man besonders leicht. Im Netz sind außerdem nicht nur praktisch alle Jugendlichen erreichbar, sondern es ist auch geradezu ideal, um extremistische Inhalte subtil und jugendaffin zu vermitteln. Deshalb ist es wichtig, dass Eltern und Erziehungsbeauftragte in Bezug auf die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen ein offenes Ohr haben. Nur dann werden junge Menschen genügend Vertrauen haben, darüber zu sprechen, wenn sie auf verstörende Inhalte gestoßen sind, ohne zu befürchten, dass der Internetzugang auf dem Spiel steht. Erwachsene sollten geschichtliche Zusammenhänge erklären. Wer beispielsweise gegen Minderheiten hetzt, steht in der Tradition der Nationalsozialisten und ihrer Politik der Vernichtung und Zerstörung. Über Menschenrechte zu sprechen ist ein wichtiger Baustein in der Prävention. Auch sollten Kinder und Jugendliche erkennen lernen, welche Vorteile sie genießen, weil sie in einer demokratischen Gesellschaft aufwachsen.