Altersfreigaben: Was Eltern wissen sollten
Sommerzeit ist nicht nur die Zeit am Strand und im Ferienapartment. Sommer heißt auch mal lange Autofahrten, Stau oder im hohen Norden Regen, der sich einfach nicht wegträumen lässt. Ob auf der Rückbank im Auto, im Flugzeug oder zu Hause: Unsere kleinen und großen Kinder gucken spätestens dann gern Fernsehen, Filme, Serien oder Videoclips und spielen gerne Computerspiele. Aber welcher Film und welches Spiel sind eigentlich für welches Alter geeignet? Und wie können die offiziellen Altersfreigaben Eltern helfen? Andrea Rehn ist Referentin bei der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein (MA HSH) und erklärt, was Eltern bei der Filmauswahl bedenken sollten.
Frau Rehn, was ist Ihre Aufgabe bei der Altersprüfung und wie hilft das den Eltern im Norden?
Andrea Rehn: Ich bin Programmreferentin bei der MA HSH und prüfe, ob die von uns zugelassenen Radio- und Fernsehsender die Gesetze zum Jugendschutz in den Medien einhalten. Ich höre und sehe mir Stichproben aus dem Programm der Sender an und gehe Beschwerden von Zuschauern nach. Daneben arbeite ich an der Beantwortung von Senderanfragen zu Jugendschutzthemen mit.
Den Eltern im ganzen Bundesgebiet hilft das in doppelter Weise:
1. An uns können sie sich wenden, wenn sie sich über eine Sendung beschweren möchten. Sind wir für den Sender zuständig, gehen wir der Beschwerde nach und prüfen, ob ein Rechtsverstoß vorliegt. Anderenfalls leiten wir die Beschwerde an die zuständige Schwesteranstalt weiter.
2. Bei Rechtsverstößen kann die MA HSH verschiedene Maßnahmen gegen den Sender ergreifen. Die Kombination von Aufsicht und Beratung sorgt dafür, dass Jugendschutzverstöße im Radio und Fernsehen inzwischen eher selten vorkommen.
Wie läuft die Prüfung ab?
Andrea Rehn: Ergibt eine Stichprobe Auffälligkeiten oder liegt eine Beschwerde vor, wird die betreffende Sendung genauer analysiert. Wie ist die Sendung gestaltet? Kann sie zum Beispiel Kinder übermäßig ängstigen oder ihnen fragwürdige Botschaften über das menschliche Zusammenleben vermitteln? Viele Sendungen haben auch schon eine Altersbewertung durch eine Selbstkontrolleinrichtung. Dann geht es darum, welche Version gesendet wurde und ob die richtige Sendezeit gewählt wurde. Gibt es Anhaltspunkte für einen Rechtsverstoß, legen wir den Fall der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vor und fordern den Sender zur Stellungnahme auf. Die KJM fällt dann ein abschließendes Urteil. In weniger schweren Fällen bleibt es zunächst bei einem Hinweis an den Sender, wenn dieser sofort Maßnahmen ergreift, um neue Verstöße zu vermeiden.
Was ist der Unterschied zwischen der Altersbewertung von Internetseiten, Filmen und Spielen? Was müssen Eltern dazu wissen?
Andrea Rehn: Bei Filmen und Computerspielen: Die Kennzeichen sind auf DVDs und Verkaufsverpackungen von Filmen und Spielen gut sichtbar aufgedruckt. Beim Online-Verkauf, im Laden, in Bibliotheken und an der Kinokasse muss kontrolliert werden, ob die Käufer, Bibliotheksnutzer oder Kinobesucher das „richtige“ Alter haben. Im Zweifel wird ein Altersnachweis verlangt.
Beim Fernsehen: Die Sender dürfen Filme ab 16 bzw. 18 Jahren erst ab 22 bzw. 23 Uhr senden. Außerdem müssen sie vor der Ausstrahlung darauf hinweisen, wenn Sendungen für jüngere Zuschauer nicht geeignet sind. Bei Filmen ab 12 Jahren ist die Zeitgrenze etwas flexibler – je nach Inhalt des Films. Viele dürfen erst nach 20 Uhr gesendet werden, einige aber auch schon vorher.
Bei Internetseiten: Alterskennzeichen von Internetseiten sind für den Nutzer meist nicht sichtbar. Sie bleiben außerdem wirkungslos, wenn die Eltern kein Filterprogramm auf dem Rechner der Kinder installiert haben, das die Alterskennzeichnung auslesen kann.
Die fünf Kennzeichen der FSK finden Sie hier. Was die fünf Kennzeichen der USK bedeuten, lesen Sie hier.
Alterskennzeichen von Internetseiten wirken nur, wenn ein Filterprogramm installiert ist.
Bestimmte Filme haben mehrere Freigaben – warum?
Andrea Rehn: Manchmal stellen Fernsehsender von beliebten Filmen Schnittfassungen her, die eine niedrigere Altersfreigabe erhalten als das Original. Der Vorteil: die Schnittversion kann früher gesendet werden (beispielsweise ab 20 Uhr). Die ungekürzte Version wird aber oft zusätzlich ausgestrahlt – nur zu einem späteren Zeitpunkt (beispielsweise ab 22 Uhr).
Kann man einen Film neu einreichen zur Prüfung?
Andrea Rehn: Fernsehsender können ältere Filme der FSF, aber auch der KJM vorlegen und einen Ausnahmeantrag für eine frühere Sendezeit stellen. Auch die FSK nimmt Neuprüfungen von älteren Filmen vor.
Ergibt die Neuprüfung eine niedrigere Freigabe, ist es verwirrend, wenn die Programmzeitschriften weiter die ältere Freigabe angeben. Nachfragen wegen solcher Widersprüche treffen gelegentlich bei uns ein.
Auf welchen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen beruht das Altersstufen-Modell? Was macht Kindern in welchem Alter Angst?
Andrea Rehn: Das Altersstufen-Modell beruht auf der Erkenntnis, dass Kinder schrittweise lernen, sich und ihre Umwelt zu verstehen, mit anderen in Kontakt zu treten, abstrakt zu denken und eigene Urteile zu fällen. Kinder einer Altersstufe haben in dieser Hinsicht vergleichbare Fähigkeiten. Die Grenzen zwischen den Altersstufen sind aber fließend. Jedes Kind hat sein eigenes Entwicklungstempo.
Der Entwicklungsstand eines Kindes beeinflusst seine Fähigkeit, Medieninhalte zu verstehen und zu verarbeiten. Auch durch zunehmende Lebenserfahrung wächst die Fähigkeit von Kindern, mediale Darstellungen zu verstehen und einzuordnen. So sind etwa Kleinkinder noch komplett überfordert, filmische Darstellungen zu verstehen. Bis zum Alter von fünf Jahren haben sie in der Regel gelernt, einfache Geschichten mit wenigen Figuren zu verstehen. Zu diesem Zeitpunkt wissen sie meist auch, dass gezeichnete Geschichten erfunden sind. Etwa ab Mitte des Grundschulalters können sie bei Filmen mit realen Darstellern prinzipiell zwischen erfundenen Geschichten und realen Begebenheiten unterscheiden, allerdings noch nicht sicher. Je realitätsnäher eine Geschichte erzählt wird, desto schwieriger ist dies für sie.
Auch die Fähigkeit, sich von medialen Darstellungen zu distanzieren, Spannung auszuhalten und ängstigende Darstellungen zu verarbeiten, entwickelt sich erst mit zunehmendem Alter. Erst ab etwa 12 Jahren spielt die übermäßige Ängstigung eine etwas geringere Rolle bei der Filmbewertung.
Mitte des Grundschulalters können Kinder zwischen erfundenen und realen Geschichten unterscheiden.
Und wie ist es bei älteren Kindern?
Andrea Rehn: Mit zunehmendem Alter entwickeln Kinder ihre Fähigkeit, sich in die Gesellschaft zu integrieren, soziale Normen und Werte zu übernehmen, eigene Werturteile zu fällen und Verantwortung für sich zu übernehmen. In der Pubertät, also ab etwa 12 bis 16 Jahren, lösen sie sich langsam von den Eltern und suchen nach neuen Vorbildern, um ihren eigenen Standpunkt in der Welt zu finden – nicht nur, aber auch in den Medien. Auch in diesem Alter sind sie daher noch anfällig für fragwürdige Botschaften und Vorbilder in den Medien. Ab etwa 16 Jahren sind sie relativ zuverlässig in der Lage, fragwürdige Botschaften kritisch zu hinterfragen – etwa, wenn der Film Gewalt als beste Möglichkeit zur Konfliktlösung darstellt oder den Konsum von Drogen verharmlost. Besonders schwierig für Kinder und Jugendliche ist es außerdem, Ironie und satirische Darstellungen richtig zu verstehen.
Ängstigend für alle Kinder bis zur Pubertät sind Darstellungen von Gewalt, Bedrohungssituationen oder Waffeneinsatz. Dies gilt besonders, wenn Gewalt gegen Kinder und Jugendliche dargestellt wird oder wenn die jungen Zuschauer in der Realität selbst Gewalt erleben. Sehr realitätsnahe und drastische Darstellungen können Kinder und Jugendliche bis 16 Jahren massiv ängstigen und zu einem angstbesetzten Weltbild beitragen. Auch wenn sie grundsätzlich erkennen können, dass eine Geschichte nur ausgedacht ist. Darstellungen von Beziehungskonflikten, Unterdrückung und Demütigungen können je nach Darstellung bei Kindern starke Ängste auslösen. Vorschulkinder können bereits von düsteren Szenarien und lang anhaltenden Spannungsmomenten übermäßig geängstigt werden – auch, wenn am Ende eigentlich „alles wieder gut“ wird.
Besonders jüngere Kinder reagieren sehr stark auf Bedrohung von anderen Kindern, Tieren und Familienmitgliedern. Welche Darstellungen Kinder als beängstigend erleben, hängt auch von ihren Lebenserfahrungen ab. Was man im eigenen Leben als bedrohlich erlebt oder fürchtet, wird auch im Film stärker als ängstigend erlebt – etwa Beziehungskonflikte, Verlust eines Elternteils oder Ausgrenzung durch Gleichaltrige.