Vorsicht, Freunde!

Freundschaft im Netz wird oft nur vorgespielt. Und dann ausgenutzt. Wie man das erkennt - und was man dagegen tun kann.


Gigi Hadid, eine Mode-Influencerin mit knapp 79 Millionen Follower*innen, macht aud dem Auto heraus ein Foto von einer jungen Frau, die eine Straße in New York entlanggeht, aufgenommen in einer Rückenansicht. Sie postet es: „Shoutout to my NYC inspration oft he day: this queen.“

Wenig später deckt die junge Frau ihre Identiät auf, mit einem Fot von vorne, das sie auf Twitter veröffentlicht. Das bis dahin unbekannte Model names Nänga Awasum bekommt dafür gast eine halbe Million Likes. Schnell landet ihr Bild auch auf Hadids Instagram-Feed. Und Hadid antwortet: „Sunshine! Sending biiiig love Nanga!“

Eben noch lebten die beiden Frauen in getrennten Welten – nur ein paar „Swipes“ weiter wird die junge Grau von der bekanntesten Mode-Influencerin der Welt wie eine beste Freundin umschmeichelt. Ein modernes Märchen, von dem Mädchen weltweit träumen: Kontakt zu einem bewunderten Star, Erfolg über Nacht, millionenfache Aufmerksamkeit.

In diesem Insta-Märchen verwischen die Grenzen zwischen Gefolgschaft und Freundschaft. Dass ist kein Zufall, auch keine Ausnahme: Das Geschäftsmodell des Netzes bau Gefühle auf, von Hass bis Liebe, um Bindung zu erzeugen. Freundschaft ist dabei oft nur ein Mittel zum Zweck: „Influencer*innen treten bewusst als Freundin auf, mit der Botschaft: Du kannst so sein wie ich. Sie täuschen Intimität vor und geben sich als Stars zum Anfassen. Dass Influencer*innen Werbeflächen sind, ist vielen Mädchen und jungen Frauen nicht bewusst“, sagt Birgit Knatz, Sozialarbeiterin und Gründerin der TelefonSeelsorge Deutschland.

Anders als Posterstars früher können die Helden des Netzes per Social Media viel stärker vermeintliche Nähe aufbauen. Sie geben Einblicke in ihr Leben, ihren Kleider schrank, ihre Handtasche. Und anders als bei Erwachsenen, die oft noch zwischen einem analogen und einem digitalen Leben unterscheiden, verschmelzen diese Welten bei Kindern und Jugendlichen. Ein Chat ist genauso Gespräch wie das Quasseln an der Bushaltestelle. Und Freunde, die man nur digital trifft, können genauso real sein wie die vom Schulhof.

Wenn Influencer*innen mit falscher Freundschaft locken, ist das eine Form von Ausnutzung und deshalb bedenklich. Es geht aber noch viel schlimmer: Jede*r vierte Jugendliche berichtet von Kontaktaufnahme durch Fremde im Internet, sagt die JIM-Studie 2022. Nicht selten verbergen sich böse Absichten dahinter: Wenn in WhatsApp-Gruppen „Hungercoaches“ junge Mädchen in eine lebensgefährliche Magersucht drängen, sich Nazis im Gamechat an junge Männer heranrobben. Auch wenn sich beim „Cybergrooming“ auf Instagram oder TikTok Pädophile als Jugendliche ausgeben. Schauen wir uns diese drei Beispiele einmal an:

Die Liste der drei genannten Beispiele von falschen Freund*innen im Netz lässt sich nach verlängern: um "Manfluencer", die jungen Männern veraltete Rollenbilder andrehen wollen. Oder "Sinnfluencer*innen", die sich rund ums Thema "Lebensglück" eine treue Gefolgschaft aufbauen. Auch islamistische Extremist*innen werben den Nachwuchs über das Netz an, indem sie sich gegenüber verletzlichen jungen Menschen aus migrantischen Umfeldern erst freundlich und verstehend, später hart und fordernd geben.

Angesichts solcher erschreckender Auswüchse wird schnell der Ruf nach staatlichen Handyverboten für Kinder und Jugendliche laut. "Solche Verbote funktionieren aber nicht", erwidert Alena Mess. Sie wünscht sich stattdessen verbindliche Aufklärung in den Schulen. Und das am besten schon bevor die Kinder das erste Smartphone in den Händen halten. Die Stärkung der digitalen Abwehrkräfte in den Schulen hätte den Vorteil, wirklich alle Jugendlichen zu erreichen - auch solche, in deren Elternhäusern Medienkompetenz kein Thema ist.

Alena Mess findet, dass die elterliche Aufsichtspflicht auch in digitalen Räumen greifen müsse: "Die klassischen Fragen der Eltern - 'Wo triffst du dich, mit wem, und was habt ihr vor?' - sollten ebenfalls gelten, wenn der Nachwuchs mit dem Handy im Kinderzimmer verschwindet. Und wenn sich die Eltern offen und interessiert zeigen, steigt auch die Chance, dass sie sich im Falle einer 'falschen Freundschaftsanfrage' an ihre Eltern wenden."