Digitales Lesen

Verbündete im Kampf für das Lesen

Dr. Sigrid Fahrer, Leiterin des Bereichs Digitales Lesen bei der Stiftung Lesen, über E-Books, Bilderbuch-Apps und die Hoffnung, mit Kinderliteratur auf digitalen Endgeräten auch „Ungernleser“ erreichen zu können.


Ein kleiner Junge liegt mit einem E-Book-Reader auf dem Bett
Foto: Marta Locklear/Stocksy

Setzt sich digitales Lesen bei Kindern und Jugendlichen durch?

Betrachtet man, was Kinder und Jugendliche laut der JIM-Studie 2014 in ihrer Freizeit im Internet tun, so erfordert mehr als die Hälfte ihrer Aktivitäten, dass sie lesen und schreiben können. Es wird digital auf vielerlei Geräten gelesen, allen voran auf dem Handy und natürlich auch am Computerbildschirm. Reine E-Books spielen bei Kindern und Jugendlichen allerdings keine große Rolle: Nur fünf Prozent geben in der Studie an, regelmäßig E-Books zu lesen.

Mögen Kinder also doch lieber noch das gute, alte Papier?

In der Tat greifen Kinder und Jugendliche nach wie vor gerne zum gedruckten Buch. Aktuelle Studien aus dem anglo-amerikanischen Raum legen sogar nahe, dass die sogenannten Millennials gedruckte Bücher den E-Books vorziehen. Ein Grund dafür mag sein, dass in dieser Altersgruppe Bücher gerne getauscht werden, was mit dem Printbuch ja ohne Weiteres geht.

Ist digitales Lesen für sie ein anderes Erlebnis als analoges Lesen?

Oftmals werden die jeweiligen Medien mit jeweils einer bestimmten Art des Lesens gleichgesetzt. Lesen in den digitalen Medien gehört vor allem in die Kommunikations- und Schulwelt und wird als ein Hypertext-Lesen praktiziert: Texte werden gescannt und dann auf bestimmte Aspekte gezoomt. Dieses Lesen ist äußerst dynamisch und erfordert komplexe Kompetenzen. Das Lesen in gedruckten Büchern wird mit Freizeit und Muße assoziiert und auch so zelebriert: langsam, konzentriert und mit einer tiefen Aufmerksamkeit.

Was können digitale Bücher, das analoge nicht leisten?

Das kommt ganz auf das Produkt an: Der Vorteil von Geschichten-Apps gegenüber gedruckten Büchern sind natürlich ihre interaktiven und multimedialen Elemente. Sie kommen besonders den Kindern zugute, die Schwierigkeiten haben, das Gelesene in Gedankenbilder umzusetzen. Geräusche oder Filmsequenzen vermögen nämlich leichter, bei den ungeübten Lesern das „Kopfkino“ in Gang zu setzen, und helfen so, in die Erzählung einzutauchen.

Lesen ist auch in der digitalen Welt eine Schlüsselkompetenz. Die digitalen Medien sind dabei unsere Verbündeten für eine zeitgemäße und innovative Leseförderung.

Dr. Sigrid Fahrer

Welche Chancen bietet das digitale Lesen für „Ungernleser“?

Die digitalen Leseformate wecken natürlich die Neugier. Und da man einem E-Book ja nicht gleich seine Seitenstärke ansieht, trauen sich auch Wenigleser einmal an dickere Bücher. Bei vielen digitalen Leseangeboten können auch Schriftgröße und Informationsmenge an das eigene Leseniveau angepasst werden, was dem Textverständnis zugute kommt. Und sie motivieren nachweislich besonders Väter, ihren Kindern mehr vorzulesen und so verstärkt als männliches Lesevorbild in Erscheinung zu treten.

Verändert sich die Kinder- und Jugend-Literatur durch die neuen Medienformate?

Die digitalen Medien haben definitiv das Potenzial, neue Formen des Erzählens hervorzubringen, zum Beispiel interaktive Geschichten-Apps, die eine Story mit Gaming-Elementen anreichern, wie etwa die App „Hans und die Bohnenranke“. Oder auch transmediale Formate, die eine Geschichte mit Audio, Text und Film erzählen, wie die nur auf Englisch erhältliche, aber sehr vorbildliche digitale Story-Reihe „3:15“.

Es wäre wünschenswert, wenn hier weitere innovative und zeitgemäße Formate entwickelt würden, die Lesen in einem frischen, neuen Licht zeigen. Wichtig bei allem ist, dass die multimedialen und interaktiven Elemente sinnvoll in die Geschichte integriert sind und nicht nur bloßes Beiwerk darstellen. Sonst kann es passieren, dass die Kinder einer Geschichte nicht mehr gut folgen können.“

Was sind für Sie als „Leseförderer“ wichtige Aufgaben für die Zukunft?

Wir sehen eine Lese-Kluft, die aber nicht zwischen analog und digital verläuft, sondern zwischen denjenigen, die mit dem gesamten Medienensemble kompetent umgehen können – und denjenigen, die das eben nicht können. Bei diesem Aspekt der Lesekompetenz einen Ausgleich zu schaffen, ist eine der zentralen Aufgaben der Stiftung Lesen. Denn Lesen ist auch in der digitalen Welt eine Schlüsselkompetenz. Die digitalen Medien sind dabei unsere Verbündeten, die eine zeitgemäße und innovative Leseförderung ermöglichen.

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