Im Netz der Nazis
Neonazis instrumentalisieren das Internet immer geschickter für ihre Propaganda und sprechen damit gezielt Jugendliche an. Da hilft nur eins: Position beziehen.
Da sitzt eine junge Frau in einem Café, an einem Bistrotisch mit runder, weißer Marmorplatte und schaut melancholisch auf die Spitzen ihrer hochhackigen Schuhe. Es ist ein gefällig wirkendes Bild. Dazu steht in fetter Schrift: „Wir haben Heimweh in unseren eigenen Städten.“
Ein Satz, den man meint zu verstehen. Dieser Trubel in den gehetzten Metropolen. Man denkt vielleicht an Hermann Hesse:
„Leben ist Einsamsein. Kein Mensch kennt den andern. Jeder ist allein.“
Ein bisschen Wehmut und Weltschmerz – immer wieder top-aktuelle Themen bei den Heranwachsenden.
Wer sich nun auf der Facebook-Seite mit der Café-Besucherin genauer umsieht, sich durch die Kommentare klickt, einzelne Kommentar-Verfasser weiterverfolgt – der stößt auf Lösungsvorschläge, über die er vielleicht vorher noch nie nachgedacht hat.
Denn heimelig wird’s für die Betreiber dieser Kampagne erst, wenn alle vermeintlich Fremden das Land verlassen haben. Danach steht da: „Wehr dich. Es ist dein Land.“
Das ist typisch für die moderne Vorgehensweise der Nazis im Internet. „Oft sind die wahren Anliegen der Nazis im Netz nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Es werden emotionale oder soziale Belange vorgeschoben, doch nach zwei, drei Klicks bin ich mittendrin in Hass und Menschenverachtung“, sagt Michael Wörner-Schappert, der im Bereich „Politischer Extremismus“ bei jugendschutz.net arbeitet, einer länderübergreifenden Stelle für den Jugendschutz im Internet.
Der Trend, dass Neonazis sich im Netz ausbreiten, hat vor ein paar Jahren begonnen und hält weiterhin an: „Immer häufiger verbreiten Neonazis unverhohlen Hasspropaganda und rassistische Gewalt im Social Web“ – so fasste jugendschutz.net anlässlich einer Pressekonferenz zum „Rechtsextremismus online“ im Juli 2013 zusammen. „Moderne Neonazis präsentieren sich als Menschenfreunde, die sich ‚kümmern‘ und der jungen Generation modische Styles, Action und Events bieten.“
In jüngsten veröffentlichen Zahlen sieht das so aus: 2012 registrierte jugendschutz.net so viele rechtsextreme Webangebote wie nie zuvor. Im Social Web waren es 5.500, etwa 50 Prozent mehr Beiträge als im Vorjahr. Vor allem Facebook, YouTube und Twitter wurden benutzt, um junge Menschen im Internet anzusprechen. Insgesamt wurden auf mehr als 1.500 Homepages rund 7.000 Nazi-Beiträge ausgemacht.
Die Zahl der rechtlichen Verstöße mit unzulässigen Inhalten lag bei mehr als 1.600. Vor allem im Social Web wurden tendenziell mehr jugendgefährdende und strafbare Beiträge dokumentiert, die Zunahme zum Vorjahr lag bei rund zehn Prozent.
Anteilig enthielten ein Viertel der Profile und Videos auf Facebook, YouTube und Co. sowie 15 Prozent der gesichteten Websites Verstöße gegen den Jugendschutz.
Nicht nur die Jugendschützer monieren die „Naziwelle“ im Netz. So steht im aktuellen Verfassungsschutzbericht für Schleswig-Holstein: „Bei der Beantwortung der Frage, warum sich immer wieder junge Menschen dennoch von rechtsextremistischer Weltanschauung angezogen fühlen, spielt das Internet inzwischen eine zentrale Rolle.“ Der Hamburger Verfassungsschutz notiert: „Ihre fehlende Mobilisierungskraft versuchen die Neonazis durch verstärkte Propaganda-Aktivitäten, insbesondere im Internet, zu kompensieren.“
Die Strategie der Nazis im Netz ist zweigleisig: Offen volksverhetzende Inhalte und die Kommunikation der Neonazis untereinander werden auf ausländische Server verlagert. Dort ist die Löschung solcher Inhalte wesentlich schwerer. Und dann haben die Neonazis noch regelrechte „Light-Produkte“ als Köder für Jugendliche entwickelt, die eigentlich nichts mit braunen Inhalten am Hut haben. Es sind Themen mit breitem Konsens: Globalisierungskritik, Naturschutz, Schutz gegen den Missbrauch von Kindern.
Hochemotional und öffentlich viel diskutiert, wird letzteres Thema von Rechten sehr gerne instrumentalisiert. So singt eine deutsche Musikerin und NPD-Politikerin auf YouTube mit weicher Stimme, aber voller Hass und dunkler Drohungen über „Kinderschänder“ – eine Wortwahl, die laut Experten mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine rechte Gesinnung deutet. Das Lied wurde seit 2008 über 1,3 Millionen Mal angeklickt, regelmäßig auf Facebook gepostet und sammelt dort wiederum jede Menge „Likes“.
Doch während solche Seiten vor zwei Jahren noch offen „Tod für Kinderschänder“ forderten, operieren die Betreiber heute unverfänglicher, überschreiben die Seiten zum Beispiel mit „Deutsche gegen Kindesmissbrauch“. Solche vorgeblichen Protestplattformen in den Sozialen Netzwerken werden dann meist mit Seiten der NPD oder einzelner Politiker verlinkt.
„Die Neonazis, die im Internet agieren, haben viel dazugelernt, agieren immer geschickter und verdeckter“, unterstreicht Simone Rafael vom no-nazi.net der Berliner Amadeo Antonio Stiftung. Sie verweist auf zwei weitere Themen, die im Social Web von rechts außen ausgeleuchtet werden: „Der offene Hass auf Ausländer wird in scheinbaren Bürgerbewegungen versteckt, die vor Ort gegen Flüchtlingsunterkünfte agitieren und damit oft politisch noch keineswegs geprägte Jugendliche ansprechen.“
Diese Initiativen heißen dann „XX sagt Nein zum Heim“, sie werden inzwischen aufgezogen wie ein Franchise-Unternehmen, das immer gleiche Filialen über das Land streut. Es sei die Strategie der Rechten, mit solchen Themen gezielt jüngere Teilnehmer der Netzwerke anzusprechen: „Nicht mehr mit platten Hassparolen, sondern viel subtiler“, so Simone Rafael.
Die Tendenz, Angebote jugendaffin zu gestalten, als unverdächtig zu tarnen und aktuelle Themen für rassistische Kampagnen zu instrumentalisieren, ist ein wichtiges Charakteristikum der rechten Netzfischer. Vermehrt werden zum Beispiel sogenannte QR-Codes im öffentlichen Raum platziert, um Smartphone-Nutzer auf Webangebote der Szene zu locken. Dass diese Strategie aufgeht, zeigen die hohen Klickraten zentraler Videos und Profile.
Die junge Dame vom Anfang des Artikels steht dabei für den neuesten Trend in der rechten Szene: die „identitäre Bewegung“. Die wurde zunächst in Frankreich erfunden und schwappt jetzt, quasi als Copy-and-paste-Bewegung, über ganz Europa. Die Botschaft: „Wir sind nicht rechts, wir sind nicht links.“ Das Ziel: „Wir wollen ein Europa der Vaterländer.“ So können klassische Ziele der Rechten – „Ausländer raus!“ – unter einem ganz neuen Markenlogo vertrieben werden.
Vor gut drei Jahren hat sich die rechtsextreme Szene auch ein eigenes „Imagevideo“ gegönnt: „Werde unsterblich“ ist ein dramatisch und ästhetisch inszenierter Fackelmarsch von Maskenträgern durch die Innenstadt von Bautzen. Organisiert als Flashmob und ausgestattet mit einer eigenen Homepage, die Jugendliche auffordert, selbst Maskenmärsche zu organisieren, um für das – so die Aufforderung – „Überleben des deutschen Volkes aktiv zu werden“. Der Clip ist mit wenigen Klicks bei YouTube – und somit überall im World Wide Web – zu finden.
Es sind aber nicht nur die aus den eigenen Reihen stammenden Internetseiten, auf denen man sich als Volksverhetzer tummelt. Denn gerade in den Sozialen Netzwerken gehen die Rechten mit großer Professionalität als lautstarke Gäste vor. „Es gibt Aktivisten, die den ganzen Tag lang nichts anderes tun als Kommentare zu posten und Diskussionen nach ihren Vorstellungen zu lenken“, sagt Simone Rafael.
Und das nicht selten mit verdeckter Identität, aber coolem Outfit auf dem Profilfoto. Für Erwachsene mit einem gefestigten demokratischen Weltbild mögen rechtsextreme Inhalte schnell erkennbar sein. Doch gerade für Jugendliche in der Pubertät, die täglich in den Medien Untergangsszenarien präsentiert bekommen, sich Sorgen um die Umwelt machen, die Welt als ungerecht empfinden und Antworten suchen, sind diese Angebote verlockend.
Und was soll man nun angesichts der konzentrierten Propagandamacht der Rechten im Netz tun? Simone Rafael vom no-nazi.net verweist auf ihre mittlerweile 9.000 Mitglieder starke Plattform, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Netzwerk-Nazis bloßzustellen. Jeder, der auf bedenkliche Kommentare stoße, müsse im Rahmen einer „demokratischen Stellungnahme“ darauf hinweisen: „Sehet, hier schreibt ein Nazi!“ Jede Möglichkeit zum „Disliken“ sollte genutzt werden. Völlig falsch sei es aber, sich auf eine Diskussion einzulassen: „Diese Leute sind rhetorisch geschult, sie argumentieren oft äußerst geschickt.“
Dass jeder Einzelne trotzdem etwas bewirken kann, zeigte sich auf Facebook, als die NPD-nahe Community „Wir hassen Kinderschänder“ geschlossen wurde. Auslöser waren heftige gebündelte Proteste – auch auf Aufklärungs-Plattformen, die ebenfalls auf Facebook platziert worden waren.
Neben diesen aktiven Formen des Contra-Gebens, für die jeder Einzelne einstehen kann, sollten Inhalte, die offensichtlich gegen Gesetze und Regeln des Jugendschutzes verstoßen, unbedingt gemeldet werden. Das geht bei jeder Polizeidienststelle, bei den Landesmedienanstalten wie der MA HSH oder über www.jugendschutz.net. Manche Website-Verantwortliche löschen inzwischen auch Inhalte, die zwar juristisch nicht anfechtbar sind, aber eindeutig von rechts-außen kommen.
Die Botschaft ist klar: Ihr müsst draußen bleiben!
Service
Woran kann ich rechtsextreme Inhalte erkennen?
- Neonazistische Inhalte sind an ihrer spezifischen Wortwahl zu erkennen: Heimatschutz statt Umweltschutz, Volksgemeinschaft, Widerstand und Kinderschänder sind Stichworte, die auf einen braunen Hintergrund verweisen könnten.
- Auf www.dasversteckspiel.de finden sich viele Hinweise zu den neuen „Codes“ der autonomen rechten Szene.
- Täglich neue Hintergrundinformationen und wichtige Kontaktlinks bietet www.mut-gegen-rechte-gewalt.de und no-nazi.net
Was tun?
- In Sozialen Netzwerken und auf Videoplattformen sollten rechtsextreme Einträge gleich als solche bloßgestellt und damit für die anderen Teilnehmer erkennbar gemacht werden.
- Dabei ist es falsch, in eine offene Diskussion einzusteigen, da die Netzaktivisten der Neonaziszene für genau solche Situationen geschult sind und rhetorisch geschickt vorgehen.
- Wer ein Video anklickt, das sich als Nazi-Propaganda entpuppt, sollte es als „schlecht“ bewerten – denn auch derjenige, der es sich aus Neugierde anschaut, treibt den Klickzähler in die Höhe und macht das Angebot somit attraktiver.
- Inhalte, die offensichtlich gegen Gesetze verstoßen, müssen sofort gemeldet werden.
- Zum Beispiel bei www.ma-hsh.de/kontakt, www.jugendschutz.net, www.hass-im-netz.info (Rubrik: „Was tun“), bei www.netz-gegen-nazis.de oder direkt bei der Polizei.
- Für Eltern und Lehrer, die sich Sorgen um einzelne Jugendliche machen oder rechtsextremen Anfeindungen ausgesetzt sind, gibt es die www.onlineberatung-gegen-rechtsextremismus.de.
- In Schleswig-Holstein können Sie die Beratungshotline der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus anrufen: Tel. 0431 – 988-3130.
- In Hamburg ist die zentrale Beratungsstelle unter Tel. 040-42863-3625 oder der E-Mail-Adressebnw-hamburg@lawaetz.de zu erreichen.
- Weitere Adressen unter www.hamburg.de/gegen-rechtsextremismus/1329798/netzwerkpartner.html
- Liken, Teilen, Hetzen – ein Aufklärungs-PDF zum Download: www.netz-gegen-nazis.de/artikel/broschuere-liken-teilen-hetzen-neonazi-kampagnen-sozialen-netzwerken-8569
- Allgemeine Infos zum Rechtsextremismus: www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremism
Dieser Artikel erschien in der scout-Ausgabe 1_2012 und wurde für den Relaunch der Website 2014 aktualisiert.