Urheberrecht

Gelegenheit macht Diebe

Du sollst nicht stehlen, das weiß jeder. Aber Hand aufs Herz: Jeder von uns hat schon einmal illegal ein Musikstück heruntergeladen oder ein fremdes Foto für eigene Zwecke verwendet, oder? Nur was passiert, wenn das alle machen? Und zwar ständig?


Zeichnung von einem Dieb
(c) Alfred Schüssler

Wie das Schlaraffenland muss Jugendlichen das Internet vorkommen: Es gibt dort fast alles umsonst, was wirklich wichtig ist für ein junges Leben: Musik, Filme, Bilder. Sogar fertige Schulreferate. Und alles kann, ohne jeden Qualitätsverlust, eins zu eins kopiert werden. Das ist eine ungeheure Versuchung: Die ganze Welt zu deinen treuen Händen, und ganz für lau, wenn du magst! Der englische Philosoph Francis Bacon prägte schon um 1600 den oft, aber meist nicht namentlich zitierten Satz: „Die Gelegenheit macht den Dieb!“

Zwischen diesen beiden Polen – „Du sollst nicht stehlen“ versus „Ich kriege hier alles“ umsonst – steckt das große Dilemma des Urheberrechts im digitalen Zeitalter. Der Musiker und Schriftsteller Sven Regener hat es so umschrieben: Es gebiete doch der „gute Anstand“, in einem Kaufhaus nichts unbezahlt in die Tasche zu packen, selbst wenn man genau wisse, dass man nicht erwischt werden könne.

Manche wissen schon ziemlich genau, dass es nicht in Ordnung ist, geistiges Eigentum einfach so einzusacken. Einige der Jugendlichen machen es oft trotzdem. Sie zahlen aber auch gerne dafür, wenn sie ausreichend Geld zur Verfügung haben. Andere hingegen lernen erst nach einer Abmahnung, dass sie sich nicht einfach ganze Musikalben aus dem Netz herunterladen oder das Foto eines bekannten Fotografen als Hintergrundbild für ihren Facebook-Account verwenden dürfen.

Dabei haben eigentlich alle Heranwachsenden, schon ab dem Kindergartenalter, einen starken Sinn für Gerechtigkeit. Sie lernen im Sandkasten, was „meins“ und was „deins“ ist, notfalls werden Besitzansprüche mit der Plastikschaufel durchgesetzt. Das gilt im Übrigen auch für Immaterielles. Wie oft hört eine Erzieherin am Tag wohl den Ausruf „Ich hatte die Idee aber zuerst!“? Die Rufe nach einer verbindlichen Medienbildung schon vor der Grundschule werden ohnehin immer lauter. Vielleicht ist das tatsächlich schon ein guter Zeitpunkt, um zum ersten Mal das Thema Urheberschaft aufzugreifen. Ganz sicher aber sollte das geschehen, wenn in der Grundschule für den „Internetführerschein“ gebüffelt wird.

Es ist eine Sache des Anstands, nicht zu klauen

Sven Regener

Der Streit ums Urheberrecht ist aber noch viel mehr als nur das Geschacher um 99 Cent für einen legalen Musik-Download. Das Eigentum an Ideen ist schließlich für ein halbes Jahrtausend eine wichtige geistige Grundlage der westlichen Welt gewesen: Die Idee ist das Produkt des freien Denkens eines Individuums. Im Mittelalter gab es noch kein Urheberrecht. Schließlich wurden viele Kunstwerke von Künstlergruppen in einer Art „Crowd“ hergestellt. Musik durfte verändert werden und Bücher wurden ganz selbstverständlich kopiert. Ein Künstler galt als gut, wenn er sein Handwerk verstand. Auch dann, wenn er nur gut kopieren konnte. Die Originalität von Ideen spielte noch keine Rolle. Mit der Erfindung des Buchdrucks konnten dann schnell und viele Kopien eines Werks angefertigt werden. Das hieß allerdings noch immer nicht, dass der Autor gerecht entlohnt wurde. Während der europäischen Renaissance und Aufklärung jedoch wurden Künstler nicht länger nur von der Kirche oder dem Adel finanziert, sie erlangten „Autorenprivilegien“. Und sie sprachen, wie Albrecht Dürer, von ihrem eigenen „Genie“.

Urheberrechte an geistigen Leistungen, wie wir sie heute kennen, wurden erst im 18. Jahrhundert eingeführt.

Die Bundesversammlung des Deutschen Bundes beschloss dann im Jahr 1837 eine zehnjährige Schutzfrist nach dem Erscheinen eines Werkes. Im Jahr 1886 wurde die „Berner Übereinkunft“ getroffen, das erste internationale Abkommen zum Urheberschutz mit einer Mindestschutzfrist von 50 Jahren.

Es stehen also nicht nur 99 Cent für einen legalen Musik-Download zur Debatte, sondern ein Anreiz- und Entlohnungssystem für originelle Gedanken. „Eine Gesellschaft, der ihre Künstler nichts mehr wert sind, ist selbst nichts wert!“, sagte Sven Regener in einem Interview. Doch genau das sehen viele Netzaktivisten anders. Der Tenor ist: „Gute Ideen sollten allen gehören!“ Ihnen schwebt letztendlich die Vergesellschaftung geistigen Eigentums vor. Das passende Bezahlmodell dafür promotet der Harvard-Rechtsprofessor Lawrence Lessig: „Ich glaube, wir werden (zukünftig) eine Art Kulturflatrate haben, die Künstler und Kreative für die Internetpiraterie entschädigt. Das Tauschen von Kulturgütern im Internet wird irgendwann legal sein.“

Urheber schauen aber nicht nur in die Röhre, wenn ihre Werke ungefragt kopiert werden. Das Stehlen von Gedanken, um sie als eigene auszugeben, ist der nächste Schritt zur Enteignung von Künstlern. Immer häufiger sind „Copy-and-paste“ die Verfasser von Referaten oder Hausarbeiten, klagen Lehrer und Professoren. Die Erfahrung zeigt: Um Schülern den Respekt vor dem geistigen Schaffen anderer einzuhauchen, reicht es nicht, nur ans gute Gewissen zu appellieren:

Dort, wo Lehrer Software einsetzen, die Plagiate aufstöbert, gehen die Fälle von Gedankenraub schnell zurück.

Oft reicht es schon, wenn die Benutzung solcher Programme öffentlich angekündigt wird. Klauen macht nämlich weitaus weniger Spaß, wenn man dabei erwischt wird …


Dieser Artikel ist in der scout-Ausgabe 2_2013 erschienen.

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