„Das ist so ungerecht!“
„Warum darf die das und ich nicht?“ Eltern kennen den Aufschrei. Über Medienzeiten oder die Erstanschaffung eines Handys wird unter Geschwistern heftig gestritten. Wie sollen Eltern damit umgehen? Ein Interview mit Diplom-Psychologin Gisa Poltrock*.
Frau Poltrock, wie oft kommt überhaupt Medienkonsum in den Beratungen zur Sprache?
Sehr häufig, und das Geschwisterthema auch bestimmt in jedem fünften Gespräch. Aber zunächst haben viele Eltern Angst, dass ihre Kinder abhängig werden können oder es schon sind. Sie wollen dann konkrete Tipps bekommen, wie viel Medienzeit in Ordnung ist.
Und?
Die bekommen sie natürlich nicht, denn das ist ja Teil der elterlichen Erziehungsarbeit: schauen, was für das einzelne Kind gut ist. Regeln festlegen. Dafür sorgen, dass sie eingehalten werden.
Was ist gut?
Bevor man konkretes Handeln bespricht, muss man erst einmal schauen, ob der Medienkonsum überhaupt problematisch ist. Häufig sagen uns Eltern: „Unser Kind ist nur noch am Computer!“ Und dann stellt sich heraus: Es ist zwei Mal die Woche beim Sport, ein Mal bei einer Schul-AG und spielt auch noch ein Instrument …
Worum geht es bei den „Geschwisterthemen“?
Nach meiner Beobachtung geht es immer um klassische Geschwisterprobleme, es sind gar keine reinen Medienthemen. Es geht fast immer um von den Kindern empfundene Ungerechtigkeiten: Die Kleinen finden es gemein, dass die Großen „mehr“ dürfen. Die Großen kämpfen um ihre Sonderrolle, die sie aber schon rein praktisch nicht immer bekommen können. Zum Beispiel zwei unterschiedliche Fernsehangebote für Vier- und Siebenjährige: Das ist nicht wirklich in den Alltag integrierbar.
Aber das ist doch ungerecht!
Genau, es ist manchmal eben ungerecht. Eltern sind nicht ständig gerecht. Sie können es auch nicht sein. Es wird immer so sein, dass die kleineren Kinder in bestimmte Dinge mit reinrutschen, immer etwas mehr dürfen. Das ist dann aber so. Eltern müssen grundsätzlich überlegen, wo sie differenzieren und wo sie die Kinder gleich behandeln. Bei kleineren Altersunterschieden muss ich nicht immer differenzieren. Und dann auch dazu stehen.
Und können Eltern das?
Oft eben nicht. Viele sind häufig zu dünnhäutig, können den Frust der Kinder nicht ertragen. Die Medienprobleme unter Geschwistern sind deshalb auch eigentlich noch mehr ein Elternproblem als ein Geschwisterproblem. Eltern prallen ständig auf Konflikte. Sie müssen dafür lernen, mit dem Frust der Kinder umzugehen. Wer damit Schwierigkeiten hat, sollte einfach mal ein Beratungsgespräch führen. Es gibt überall gute Möglichkeiten, sich als Eltern im eigenen Handeln stärken zu lassen.
Wie regele ich nun im Alltag den Medienkonsum der Geschwister?
Zunächst einmal muss ich versuchen zu erkennen, was für das einzelne Kind gut ist. Oder eben, was nicht geht. Kinder reagieren ja ganz unterschiedlich auf mediale Impulse oder haben schon sehr früh ganz unterschiedliche Schlafbedürfnisse. Und nun muss ich diese Bedürfnisse im familiären Miteinander abstimmen. Dann darf der Anderthalbjährige eben mit dem Fünfjährigen „Shaun das Schaf“ gucken. Wenn Kinder im Alter nicht zu weit auseinander sind, können sie ja auch abwechselnd bestimmen, was geschaut werden soll.
Was wird als ungerecht empfunden?
Natürlich wenn unterschiedlich lange Nutzungszeiten erlaubt sind. Aber auch hier gilt: Ich schaue, was für die einzelnen Kinder gut ist. Und überlege, ob ich wirklich differenzieren muss oder kann. Je weiter die Kinder im Alter auseinander sind, umso einleuchtender sind ja unterschiedliche Zeitkonten. Bei nur zwei Jahren Altersunterschied ist es doch vom Handling sinnvoller, wenn beide gleich lang „daddeln“ dürfen.
Wann gibt es das erste Smartphone?
Ich würde sagen, der jetzige Trend ist: ab der fünften Klasse. Wenn der oder die Ältere sein oder ihr erstes Handy erst später bekommen hat: Dann haben sich eben die Zeiten geändert! Das wird dann vielleicht wieder als ungerecht empfunden. Aber dann ist es eben so.
Wo drückt der Schuh noch?
Wir Erwachsenen sind einfach ganz anders aufgewachsen, verstehen kaum, was die Jugendlichen an Games oder sozialen Netzwerken so sehr fasziniert. Wenn ein Kind mit einer neuen Lego-Packung für vier Stunden im Zimmer verschwindet, ist alles in Ordnung. Vier Stunden mit dem neuen Computerspiel sind aber genauso normal, das müssen Erwachsene einfach zur Kenntnis nehmen.
Heutzutage machen sich Eltern schnell große Sorgen um ihre Kinder. Ich wünsche mir da mehr Vertrauen – sowohl in die eigene Kompetenz als auch in die Fähigkeiten der Kinder. Und ich finde es wichtig, gemeinsam Spaß zu haben, Unsinn zu machen. Interesse an den Belangen der Kinder zu zeigen, ist ein wesentlicher Faktor, um den Kontakt zu dem Kind nicht abreißen zu lassen. Dazu gehört auch, die Musik der Kinder zu hören oder das aktuelle Ballerspiel mitzuspielen. Und super wäre dann, wenn der Funke überspringt und es gemeinsam Spaß macht.
*Gisa Poltrock ist Leiterin der „Südstormarner Vereinigung für Sozialarbeit e.V.“ (svs-stormarn.de). Im Rahmen der dortigen Erziehungs- und Familienberatung wird häufig über den Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen gesprochen.