Flagge zeigen

Bürger an die Waffen?

Hass-Kommentare verpesten die sozialen Netzwerke. Wer muss was tun, um das Klima im Netz zu ändern?


Taste einer Tastatur mit dem Aufdruck "Dislike" und darunter ein nach unten gerichteter Daumen
Foto: Getty Images

Die 23-jährige Emma Louise Meyer hat wochenlang am Hamburger Hauptbahnhof bei der Flüchtlingshilfe mitgeholfen, Tag für Tag und oft nächtelang. Irgendwann im Oktober 2015 kann sie nicht mehr. Sie ruft über YouTube um Hilfe, nach mehr Helfern, und der Clip wurde über 100.000-mal geklickt.

Es fanden sich 250 neue Freiwillige, eine tolle Sache, ein Beispiel dafür, wie sich Bürger im Zeitalter des Web 2.0 organisieren. Nicht so toll waren die Trolle, die sich auf die Kommentarspalten stürzten, um die Helferin anzufeinden. Mit Sätzen wie diesen (Rechtschreibfehler inklusive): „Ich lache über euch dumme Gutmenschen, du wirst so oder so versagen und deine Hilfe wird nichts mehr bringen. Wir stehen im Kulturkrieg, Bürger an die Waffen!! Die Gutmenschen werd bald am Ende sein und der Rest von Merke & Co auch.“

Der Ton im Netz wird härter, besonders seit sich das Flüchtlingsthema in den medialen Vordergrund gedrängt hat. „Blanker Hass gegen Flüchtlinge, Juden, Muslime, Homosexuelle oder Sinti und Roma ist im Social Web alltägliche Realität“, konstatiert ein im Herbst vorgestellter Bericht von jugendschutz.net. Christiane Schneider, Leiterin des Bereichs Politischer Extremismus bei jugendschutz.net, sagt: „Beiträge im Social Web, die an Vorurteile und Ängste anknüpfen, erzielen große Reichweite, auch über Szenekreise hinaus.“

Im Zuge der aktuellen Flüchtlingsdebatte hätten sich die Hinweise auf rassistische Hetze bereits verdreifacht, sagt dazu Michael Wörner-Schappert, Referent „Rechtsextremismus“ bei jugendschutz.net:

„Neben aggressiver und brutaler Hetze, die sich aktuell immer häufiger Bahn bricht, werden junge User oft subtil und mit modernen, lebensweltnahen Angeboten angesprochen. Kernstück vieler rechtsextremer Internetpräsenzen sind stylische und provokante Inhalte, die mit dem Nimbus des Verpönten, Rebellischen und Verbotenen spielen. Reichweite auch über Szenekreise hinaus erzielen vor allem Beiträge, die an aktuelle Themen anknüpfen. In letzter Zeit zeigt sich gerade an den Protesten gegen die wachsende Zahl an Flüchtlingsunterkünften, wie anschlussfähig rechtsextreme Agitation an gesellschaftliche Debatten ist.“ Mehr dazu hier.

Je lauter, desto like

Fakt ist: Es gibt richtig viel ekliges Zeug zu lesen im Netz. Wobei man trennen muss zwischen ganz klar volksverhetzenden Aussagen, die rechtlich verfolgt werden können – und gemeinen bis bösartigen Kommentaren, die aber noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt sind. Es ist aber gerade dieser von den Gesetzen noch gedeckte „Das wird man ja wohl noch mal sagen dürfen“-Ton, der die Luft in den Netzwerken verpestet und soziale Netzwerke zu ungemütlichen Orten macht.

Mal allen so richtig die Meinung sagen – dazu bietet sich in sozialen Netzwerken eine Fülle von Möglichkeiten. Es weiß ja keiner, dass ich das bin, der hier über Minderheiten, Politiker oder Journalisten herzieht. Eine freundlich-offene Diskussion, eine „gepflegte Debatte“ gibt es zu politischen Themen im Netz nicht mehr, so scheint es. Argumente werden durch Pöbeleien ersetzt. Nun ist das Netz ja der Raum, in dem Jugendliche heute, mehr oder minder, ihr Leben verbringen. Wie sollen sie sich verhalten: den Hass ignorieren? Oder dagegenhalten? Das Gegenüber sachlich überzeugen? Wo überhaupt lernen die Jugendlichen das richtige Verhalten? Wer soll es ihnen beibringen?

Während in den Kommentarspalten der Nachrichtenseiten von Zeitungen Moderatoren dafür sorgen, dass unsachlich argumentierenden Querulanten auf die tippenden Finger geklopft wird, schleichen sich Facebook und YouTube in der Regel bislang noch aus der aktiven Verantwortung. Auf Rechtsverstöße wollen sie erst hingewiesen werden – und das „Flagging“ bei YouTube, das nach Angaben des Konzern-Pressesprechers Robert Lehmann (Google Deutschland) „innerhalb weniger Stunden“ von Mitarbeitern überprüft wird, ist nur möglich, wenn man einen YouTube-Account besitzt. Einzelne Kommentare unter Videos hingegen können nicht „von außen“, also von Usern, geflaggt und gemeldet werden. Und ausgerechnet in den Kommentaren sind viele Pöbeleien zu finden, die scharf an der Grenze zur Volksverhetzung formuliert sind. Hier dürfen nur die YouTube-Kanalbetreiber Meldung erstatten, also diejenigen, die zum Beispiel ein Video über Flüchtlingshilfe posten und dann dafür extrem angefeindet werden. Aber wer von diesen privaten Kanalbetreibern hat schon Zeit und Lust, Hunderte Kommentare zu durchforsten?

Unbedingt Flagge zeigen!

Aus eigener Verantwortung der Unternehmen heraus geschieht nicht viel, auch wenn diese das gerne beteuern. Die Verantwortung wird stattdessen in Richtung User verschoben, der Videos melden oder „flaggen“ soll, die gegen Recht oder Nutzungsbedingungen verstoßen. Oder in Richtung desjenigen, der Videos hochlädt und in den Kommentaren angefeindet wird. Verschoben wird die Verantwortung auch mit Mitteln der Medienkompetenzförderung. So stellten die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM), die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) und Google im Herbst Unterrichtsmaterialien für die Schule vor zum Thema „Hass in der Demokratie begegnen“.

Darüber kann man sich freuen, geht die Initiative ja schließlich in die richtige Richtung. Von Unternehmen wie Google ist der Verweis auf die „Souveränität der Jugendlichen“ allerdings ein bisschen zu wenig.

Wie zum Beispiel Facebook kritische Inhalte überwacht, ließ sich beeindruckend in der Süddeutschen Zeitung unter der Überschrift „Zu Besuch bei Facebooks Löschkommando“ lesen. Mark Zuckerbergs Konzern hatte nach Dublin in die Europazentrale geladen, um Transparenz zu zeigen. „Je heftiger in Deutschland die Diskussion über Rassismus auf Facebook hochkocht, desto dicker scheinen die Mauern zu werden, hinter denen Facebook sein sogenanntes Community Operations Team versteckt“, schreibt der Autor des Textes. Es ist kaum vorstellbar, dass alle bösen Kommentare von diesen Teams gelesen werden. Über genaue Zahlen dazu erfährt man von den Betreibern der sozialen Plattformen jedenfalls wenig bis nichts.

Facebook bewegt sich doch?

Zuletzt hat Facebook angekündigt, verstärkt gegen Hass-Postings vorzugehen. Zukünftig sollen demnach „Androhungen von physischer Gewalt als glaubhafte Drohungen eingeschätzt und entfernt“ werden, teilte das Unternehmen mit. Und: „Die Toleranz gegenüber leichtfertig dahingeschriebenen Kommentaren mit fremdenfeindlichem Unterton wird eingeschränkt“, sagt Facebook.

Das Unternehmen ist Ende November auch der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) beigetreten. „Die FSM wird Facebook beim Umgang mit Hasskommentaren und Internethetze beraten und gemeinsam mit dem Unternehmen an Lösungen arbeiten, um besonders schwierige Fälle zu adressieren“, heißt es in der Presseerklärung. Facebook habe demnach bereits seine Mitarbeiter angewiesen, „im Bereich der Androhung von Gewalt, zum Beispiel gegen Migranten im Zuge der derzeitigen Flüchtlingsdebatte, die internen Community Standards strikter auszulegen.“ Es ist zu hoffen, dass solche Initiativen greifen, dass die angekündigten Änderungen im Löschverhalten bei Facebook auch wirklich umgesetzt werden. Bis dahin aber sollten sich Lehrkräfte und Eltern verstärkt des Themas annehmen und den Nachwuchs nicht allein mit Hass und Pöbeleien lassen.

Wie soll man auf den meistens rechten Hass im Netz reagieren?

scout hat dazu Robert Lehmann (Google/YouTube), Michael Wörner-Schappert (jugendschutz.net) und Emma Louise Meyer befragt.

Hier kommen ihre Antworten:

Robert Lehmann/Google Deutschland:

„Sobald YouTube von einem konkreten Inhalt Kenntnis erlangt, der gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen könnte, wird dieser unverzüglich geprüft und gegebenenfalls entfernt. Wir können nur dann reagieren, wenn wir auf konkrete Rechtsverletzungen hingewiesen werden. Dies bedeutet also, dass wir in jedem Fall die konkrete URL brauchen, die zu dem beanstandeten Video führt. Ohne diese ist eine sichere Identifizierung und folglich Überprüfung der Rechtswidrigkeit des beanstandeten Videos nicht möglich. Wenn Nutzer unangemessenes, jugendgefährdendes oder verbotenes Material auf YouTube finden, können sie dieses mit wenigen Klicks als solches markieren. Wir nennen das „Flagging”. Unter jedem Video gibt es ein kleines grafisches Symbol, eine kleine Fahne, mit der unangemessene Inhalte gemeldet werden können. Unsere geschulten Mitarbeiter prüfen daraufhin – und das bereits nach dem ersten „Flagging“ eines Videos – die gemeldeten Videos unverzüglich und löschen diese gegebenenfalls.“

Michael Wörner-Schappert/jugendschutz.net:

„Grundsätzlich ist wichtig, Hass-Kommentare nicht unwidersprochen stehen zu lassen. Jeder User kann rassistische und menschenfeindliche Postings zum Beispiel umgehend dem jeweiligen Plattformbetreiber melden. Auf großen Plattformen ist das einfach möglich, und die Dienste löschen Inhalte, wenn sie gegen die Nutzungsbedingungen verstoßen. Auch jugendschutz.net nimmt über seine Website Beschwerden entgegen. Darüber hinaus erfordert Hassrede sichtbaren Widerspruch, also Kommentare, die beispielsweise rechtsextreme Argumente entkräften und Solidarität mit den Opfern rassistischer Anfeindungen ausdrücken. Wer direkt betroffen ist, kann sich immer auch an unseren Kooperationspartner Online-Beratung gegen Rechtsextremismus (OBGR) wenden. Die Kolleginnen und Kollegen dort bieten allen Hilfestellung, die in ihrem Umfeld mit Rechtsextremismus konfrontiert sind – anonym und individuell, per E-Mail oder im geschlossenen Chat.“

Emma Louise Meyer wurde wegen eines YouTube-Videos zur Lage der Flüchtlinge und ihrer Helfer am Hamburger Hauptbahnhof angefeindet:

„Ich finde die Kreativität, die hinter einigen Kommentaren steckt, schon fast bewundernswert. Nur leider an falscher Stelle eingesetzt. Aber es fasziniert mich, wie viel mit Worten und Aussagen gespielt wird, nur um sich im Internet zu streiten, was man vielleicht im echten Leben nicht hinbekommt. Ich gehe aber davon aus, dass jemand, der mich im Netz angreift, mich wahrscheinlich nicht so schnell im realen Leben angreift. Das liegt schon allein daran, dass es so schrecklich einfach ist, im Netz seine Meinung kundzutun und verbale Gewalt anzuwenden. Am Anfang habe ich auf den einen oder anderen Kommentar geantwortet, aber es schnell aufgegeben: Je mehr man sagt, desto mehr Projektions- und Angriffsfläche bietet man. Und man hat selbst auch nicht genug Distanz zu den Kommentaren, und emotionale Reaktionen verursachen nur ein Hochschaukeln beider Seiten, das ist wie eine Streit-Spirale und provoziert im Regelfall nur noch mehr Hass-Kommentare. Ignorieren halte ich jedoch für genauso unangebracht. Wichtig ist, dass man solche Kommentare nicht zu sehr an sich heranlässt. Und dass man mit anderen darüber spricht. Mir ist wichtig, trotzdem immer konstruktiv zu denken und sich zu überlegen, wie man diese Menschen auf seine Seite ziehen kann, wie man diese Krise überstehen kann.“


Informationen:

Überall Hass – was kann ich tun?

* Offensichtlich volksverhetzende Inhalte sollte man auf jeden Fall bei der Polizei melden, bei hass-im-netz.de, , mahsh.de oder jugendschutz.net

* Wer auf bedenkliche Inhalte stößt, sollte sie „disliken“, wenn es über Pöbeleien hinausgeht, auch „flaggen“, also beim Betreiber melden.

* Ein Statement abgeben ist richtig und wichtig. Man sollte sich aber auf keinen Fall in Diskussionen verwickeln lassen oder selbst anfangen zu pöbeln. Oft sind die Kommentatoren regelrechte „Profis“ und manche auch eigens dafür rhetorisch geschult.

* Woran man oft auch raffiniert getarnte Inhalte mit rechtem Gedankengut erkennt, ist in einem extra scout-Beitrag zu lesen.

* Für Eltern und Lehrer, die sich Sorgen um einzelne Jugendliche machen oder rechtsextremen Anfeindungen ausgesetzt sind, gibt es die onlineberatung-gegen-rechtsextremismus.de.

In Schleswig-Holstein können Sie die Beratungshotline der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus anrufen: Tel. 0431 988-3130.

In Hamburg ist die zentrale Beratungsstelle unter Tel. 040 42863-3625 oder der E-Mail-Adresse bnw-hamburg@lawaetz.de zu erreichen.

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