Sexting

Als die Fotos schärfer wurden

Sexting ist das Wort für das Verschicken von intimen Fotos. Sexting, so heißt es, soll um sich greifen und Probleme machen. Der Forschungsstand ist nicht besonders klar. Klar ist: Es geht um Nähe und Vertrauen. Und um Vertrauensmissbrauch.


Erotische Aufnahmen verschiedenen Personen, beispielsweise im Bikini
Fotos: Istock

Es gibt einen neuen Trend, der Medien, Eltern und Schulleiter erschüttert: „Sexting“

„Klicksafe“ schreibt dazu: „Sexting ist ein Kofferwort aus den beiden Wörtern Sex und Texting. Sexting beschreibt das Versenden von erotischen Fotos oder Videos der eigenen Person mittels Computer oder Smartphone. Erotisches Material können dabei Aufnahmen in Badehose, in Bikini und in Unterwäsche sein, Nacktbilder bestimmter Körperregionen oder Oben-ohne-Aufnahmen.“

Auf „Juuuport“ findet sich eine erweiterte Umschreibung, die etwas tiefer schürft: „Wir finden das Wort irreführend, weil es suggeriert, dass es dabei um Sex geht. Es geht aber um viel mehr: um Vertrauen und Vertrauensmissbrauch, Selbstwertgefühle, Demütigungen und auch um (Cyber-)Mobbing. So führen intime Bilder, die an Schulen im Umlauf sind, auch immer häufiger zu Fällen von massivem Mobbing.“

Die erregten und besorgten medialen Diskussionen drehen sich meist nicht nur um die schlichte Tatsache, dass Verliebte sich Nacktbilder schicken und das mit Smartphones und Messengerdiensten wie WhatsApp schneller tun können als jemals zuvor. Im Fokus steht vielmehr der Missbrauch: Da trennt sich das junge Mädchen von ihrem Freund, und der junge Mann, der vor Wochen noch um ein „scharfes Foto“ gebettelt hat, schickt es in seiner gekränkten Eitelkeit an alle seine Freunde – und damit potenziell an jedermann rund um den Globus.

Seltsam unklar ist meist der Blick auf das Phänomen. Denn in der öffentlichen Betrachtung wird nicht selten die erst einmal grundsätzlich neutral zu bewertende Aktion – junge Verliebte schicken sich erotische Fotos – mit dem Vertrauensmissbrauch gleichgesetzt, wenn einer der Partner die Fotos öffentlich macht. Dabei handelt es sich dann um eine Form von besonders bösartigem Cybermobbing, aber nicht um das Sexting an sich.

Derlei Mobbingfälle erhalten dann rasend schnell flächendeckende Aufmerksamkeit. Und ebenso schnell entsteht das Bild, irgendetwas laufe (extrem) schief in den deutschen Jugendzimmern.

Doch was läuft wirklich? „19 % der weiblichen und 11 % der männlichen Jugendlichen produzierten bereits erotische bzw. sexuelle Fotos oder Filme von sich selbst. Diese Praktiken nehmen im Erwachsenenalter deutlich zu, das betrifft auch die Weitergabe solcher Produkte, nur 6% der Befragten bestätigen Erfahrung mit aktivem Sexting“, sagt eine noch nicht veröffentlichte Studie der Hochschule Merseburg, für die rund 1.500 Schüler und Berufsschüler in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen befragt wurden.

Ist der Austausch freizügiger Handyfotos ein Ausdruck jugendtypischer Unreife? Keineswegs.

Nicola Döring, Professorin für Medienwissenschaft, Ilmenau

Die Ilmenauer Medienwissenschafts-Professorin Nicola Döring hat sich unter deutschen Akademikern die meisten Gedanken zum Thema gemacht. Sie schreibt: „Ist der Austausch freizügiger Handyfotos ein Ausdruck jugendtypischer Unreife? Keineswegs. Das erkennt man schon daran, dass diese Form des intimen Austauschs unter Erwachsenen sehr viel stärker verbreitet ist als unter Jugendlichen: In manchen Studien liegt die Verbreitung des Sexting bei Erwachsenen über 50 %, bei Jugendlichen im Durchschnitt unter 15 %.“ Die von Professorin Döring genutzten Studien sind allerdings überwiegend aus den USA. Viele sind auch nur noch bedingt aktuell, bilden sehr wahrscheinlich die Realität nur unzureichend ab.

Vor Kurzem sind nun auch aktuelle Zahlen für Deutschland erschienen, in der JIM-Studie 2014 („Jugend, Information, (Multi-) Media“). So wurden die Befragten gebeten anzugeben, „ob in ihrem Bekanntenkreis schon mal jemand erotische oder aufreizende Bilder oder Filme von sich per Handy oder Internet verschickt hat. Mehr als jeder Vierte (27 %) gibt an, dies im Bekanntenkreis schon einmal mitbekommen zu haben“, heißt es in der Studie:

„Jungen wie Mädchen bestätigen dies gleichermaßen. Bei den Zwölf- bis 13-Jährigen kann jeder Zehnte davon berichten (11 %), die volljährigen Jugendlichen haben zu 36 Prozent Kenntnis von dieser Praxis im Freundeskreis (14-15 Jahre: 27 %; 16-17 Jahre: 32 %).“

Ein paar Sätze von ziemlich gesichertem Wahrheitsgehalt lassen sich so zusammenfassen:
* Je älter die Jugendlichen sind, umso mehr Sexting wird betrieben.
* Mädchen verschicken, meist forciert von ihren Freunden, mehr Fotos als Jungen.
* Und: Sexting findet vor allem in Beziehungen statt.

Nicola Döring unterstreicht: Sexting sei zunächst einmal keine „falsche Mediennutzung“, wenn es einvernehmlich betrieben werde, sondern eine „durchaus normale Form des erotischen Austauschs im Handyzeitalter“. Sie schreibt: „Es wird deutlich, dass die große Mehrheit der Jugendlichen Sexting ablehnt und auch nicht praktiziert (gut 80 % der Mädchen und 85 % der Jungen). Die Minderheit, die sich aktiv beteiligt, tut dies überwiegend im Rahmen intimer Kommunikation in Liebes- und Flirtbeziehungen, wobei positive Erfahrungen der Normalfall sind.“

Erst wenn die Fotos weiterverschickt werden, wenn Jugendliche sich in Netzwerken lustig darüber machen, wird Sexting zu einem wirklichen Problem. In den eher wenigen Fällen, in denen private freizügige Fotos ungewollt und rechtswidrig in Umlauf gebracht würden, führe dies dann aber zu einer Stigmatisierung der betroffenen Mädchen, verbunden mit einer Schuldzuweisung an die Opfer.

Häufig reagieren die Erwachsenen dann mit einem „selbst schuld“. In einem Gespräch mit dem Evangelischen Pressedienst (epd) rät der Dortmunder Sexualpädagoge Michael Hummert Eltern „zur besonnenen Reaktion“, wenn ihre Kinder Nacktfotos von sich per Handy verschicken. Sie sollten mit ihnen über die möglichen unerwünschten Folgen des Sexting sprechen, sie aber nicht mit Drohungen verängstigen. Kommt es tatsächlich zur „Veruntreuung“ von intimen Bildern, so sollten Kinder und Eltern sofort rechtliche Schritte prüfen. Denn im Falle der Weitergabe von privaten Fotos greifen gleich mehrere Gesetze.

„Juuuport“ sagt dazu: „Das einzelne Gesetz, das Sexting bestraft, gibt es nicht, wohl können aber – je nachdem, wie der Fall liegt – verschiedene Straftatbestände erfüllt sein, z. B. Verbreitung von Pornografie an Minderjährige (unter 18 Jahre), entweder durch die abgebildete Person selbst (ja, man kann sich auch strafbar machen, wenn man so ein Bild von sich selbst verschickt) oder eine andere Person oder auch Erpressung („Wenn du nicht das oder jenes machst, schicke ich das Bild an deine Eltern“). Der Gang zur Polizei (im Idealfall mit den Eltern gemeinsam) ist sicher nicht so angenehm, aber wichtig. Hinzu kommt noch das Recht am eigenen Bild, das bei der Weitergabe verletzt wird.“

Verstöße können durchaus teuer werden: Das Landesgericht Frankfurt a. Main (Az. 2-03 O 189/13) verurteilte unlängst eine Schülerin zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 1.000 Euro. Sie hatte intime Fotos auf dem Laptop einer Schulkollegin entdeckt und weitergeleitet. Diese ließ ihre Mitschülerin daraufhin abmahnen und zeigte sie bei der Staatsanwaltschaft wegen „Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht“ an. Dieser sei so schwer, sagte das Gericht, dass der betroffenen Schülerin auch Schmerzensgeld zustehe.

Welche pädagogischen Wege sollten Eltern und Lehrer nun gehen? Fast alle Medienpädagogen sind sich einig: Verbote sind so gut wie wirkungslos. Wer wollte denn wirklich die WhatsApp-Korrespondenz der pubertierenden Tochter kontrollieren?

Wichtiger ist es zu signalisieren:
* Wir wissen ungefähr, was ihr macht.
* Das ist, je älter ihr werdet immer mehr, weitestgehend eure Sache.
* Aber: Bedenkt die Folgen!
* Und: Bewegt euch innerhalb der Gesetze, sonst gibt es großen Ärger.

Kommt es zum Vertrauensmissbrauch, zu Formen von Nötigung und Erpressung, müssen unbedingt alle rechtlichen Mittel ausgeschöpft werden. Dafür müssen die Schüler wissen, dass es solche gibt. Und dass sie sich an Vertrauenspersonen wenden können. Vertrauenspersonen sind, in diesem Alter und in einer solchen Situation, eher nicht die Eltern oder Lehrer. Medienscouts sind beispielsweise die passenden Anlaufstellen für derlei Probleme.

Grundsätzlich muss der Missbrauch von Sexting ein Thema an den Schulen werden. Denn vor allem dort entstehen die Probleme. Fehlverhalten muss schneller geächtet werden, da sind sich alle Experten einig.

Nicola Döring weist darauf hin, dass bei Fällen von Cybermobbing und Sexting immer eine Gruppe von „Mittätern“ beobachtet werden kann: „Eine große Anzahl von Personen muss mitmachen, damit der Schneeballeffekt zustande kommt und sich das Foto in den sozialen Netzwerken ausbreitet. Jeder Empfänger könnte das kompromittierende Bild auch einfach löschen“, schreibt die Medienpsychologin.

Wie oft es in Hamburg und Schleswig-Holstein wirklich zu Fällen von Sexting-Mobbing kommt, bleibt unklar. Es sei „noch kein Hype-Thema“, sagt der Sprecher der Schulbehörde, Peter Albrecht: 2013 habe die Abteilung Gewaltprävention sieben Beratungsanfragen von Mädchen im Alter zwischen zwölf und 14 Jahren erhalten. Der Verein „Dunkelziffer“ hingegen meldet Handlungsbedarf: „Die Nachfragen zu Sexting und Cybermobbing nehmen zu“, sagt Simone Bauer, Fachberaterin für Psychotraumatologie bei Dunkelziffer.

Wie weit verbreitet es unter Schülern im Land ist, weiß eigentlich keiner genau. Wir bekommen aber zunehmend mehr Nachfragen von Pädagogen zum Thema.

Uli Tondorf, Medienpädagoge, Landesarbeitsstelle Schleswig-Holstein, Aktion Kinder- und Jugendschutz (AKJS), Kiel

Uli Tondorf, Medienpädagoge bei der Landesarbeitsstelle Schleswig-Holstein der Aktion Kinder- und Jugendschutz (AKJS) in Kiel, sagt: „Wie weit verbreitet es unter Schülern im Land ist, weiß eigentlich keiner genau. Wir bekommen aber zunehmend mehr Nachfragen von Pädagogen zum Thema.“

Ähnlich sieht es beim Hamburger Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) aus. Seit rund zwei Jahren beobachtet auch Beate Proll, Leiterin der Abteilung „Beratung – Vielfalt, Gesundheit und Prävention“ eine Zunahme von Nachfragen: „Das Thema wird von Lehrkräften in Einzelgesprächen und Fortbildungen an uns herangetragen. Meist wird gefragt: ‚Ist das wirklich so? Wie sollen wir dem begegnen?‘“

Sollte es zu „übergriffigen“ Situationen gekommen sein, wird auch die Beratungsstelle für Gewaltprävention eingeschaltet. Grundsätzlich sieht Beate Proll aber, hinter aller medialen „Skandalisierung“, eher eine „neue Form der Kontaktaufnahme bei Jugendlichen“. Damit es weniger häufig zu Entgleisungen komme, müsse dieses Thema in der Schule aber gleichermaßen in der Sexualpädagogik wie in der Medienpädagogik aufgearbeitet werden.

Viele Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer an Fällen von Sexting- Cybermobbing aus. Wer betroffen ist, schämt sich und schweigt. Doch selbst, wenn es „nur“ zehn Fälle im Jahr in einer Stadt wie Hamburg wären, so ist das Leid einer solchen traumatischen Erfahrung – Missbrauch von Vertrauen, Bloßstellung vor einer riesigen Öffentlichkeit – als so schwer anzusehen, dass tatsächlich reagiert werden muss.

So forderte die Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedek die Einführung eines neuen Straftatbestandes für einen besseren Schutz der Opfer von Sexting und Mobbing.

Jugendlichen muss signalisiert werden, dass Sexting – ebenso wie Knutschen, Fummeln, Miteinanderschlafen – im einem geschützten, vertrauensvollen Rahmen zwar normal ist, jede Art von Vertrauensbruch allerdings ethisch nicht in Ordnung ist und dass der Missbrauch von Sexting geächtet und sogar gerichtlich verfolgt wird.


Safer Sexting – Drei Goldene Regeln für Jugendliche

* Will dein Freund, deine Freundin ein Foto, und du willst es nicht? Nein sagen! Wenn das nicht so leicht für dich ist, hol dir Unterstützung bei Freunden oder auf www.juuuport.de – die Seite wird von Jugendlichen betrieben.
* Snapchat ist nicht sicher! Zum Beispiel können Bilder per Screenshot gespeichert werden.
* Du willst Bilder machen? Mit engeren Ausschnitten, ohne Kopf oder sonstige erkennbare Merkmale grenzt du die Gefahr ein, später Opfer von Cybermobbing zu werden. Du kannst dann immer sagen: Das bin ich ja gar nicht!



Sechs Tipps für Pädagogen und Eltern zum Umgang mit Sexting:

  1. Einvernehmliches Sexting unter Jugendlichen ebenso wie einvernehmlichen Sex akzeptieren.
  2. Nicht einvernehmliches Weiterleiten bloßstellender Bilder als Problem fokussieren.
  3. Unterstützung für Mobbingopfer durch Peers, Erwachsene und Institutionen verbessern.
  4. Sexueller Doppelmoral und Verunglimpfung von sexuell aktiven Mädchen als „Schlampen“ entgegenwirken.
  5. Ausdrückliches Einverständnis als Richtschnur jeglichen sexuellen Handelns besser verankern und dabei die Jungen stärker in die Pflicht nehmen.
  6. Foto-Missbrauch in einer sozialen Gruppe nicht auf ein Medienproblem verkürzen, sondern als Symptom grundlegenderer Konflikte behandeln.

Quelle:
medienbewusst.de/handy/20140729/warum-sexting-unter-jugendlichen-kein-problem-ist.html


Was tun bei Sexting-Mobbing?

* Hilfe suchen, z. B. auf www.juuuport.de (Rubrik: „Beratung durch einen Scout“), bei Vertrauenslehrern oder den Medienscouts an den Schulen (das gilt z. B. in Hamburg und Schleswig-Holstein).
* Am besten ist es, gleich einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen und die Verletzung des Rechts am eigenen Bild geltend zu machen sowie auch Anzeige zu erstatten.
* Die Fotos/Videos beim Anbieter, über dessen Dienst das Material verbreitet wurde, melden und entfernen lassen. Das ist bei Facebook leichter als bei WhatsApp. Kontakt über das Impressum des Anbieters.


Sonderfall Grooming

Ein Sonderfall des Missbrauchs von intimen Bilder ist das „Grooming“, bei dem Erwachsene sich in Chatrooms das Vertrauen von Jugendlichen (meist Mädchen) erschleichen und um Nacktfotos bitten. Diese werden dann zur Erpressung genutzt. Sexueller Missbrauch ist in der Regel das Ziel der „Groomer“. Grooming hat deshalb überhaupt nichts mit dem eigentlichen Sexting zu tun. Solche Fälle kommen aber regelmäßig vor, sie gehören angezeigt und juristisch konsequent verfolgt.

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