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Alles Wischiwaschi?

Kinder-Apps breiten sich rasend schnell aus. Aber interaktiv ist nicht immer auch kindgerecht.


Kunst aus Papier, Darstellung von verschiedenen Symbolen
Paper Art: Cris Wiegandt & Nearly Normal

Matrose Fiete ist ein eher ruhiger Typ, freundlich, mit Dreitagebart. Das Meer hinter ihm rauscht, die Möwen kreischen. In Fietes Welt, einer iPhone-App, passiert nicht viel. Einmal weiß er nicht, ob er einen Lodenhut mit Gamsbart aufsetzen soll oder die Helmut-Schmidt-Mütze. Die Kopfbedeckung wird mit dem Finger von der Garderobe zum Kopf gezogen und ploppt zurück, wenn sie nicht passt. Die richtige bleibt mit einem Schnalzlaut auf dem Kopf sitzen.

Wer sich die laut Hersteller „erste App für Kleinkinder“ anschaut, der glaubt erst einmal nicht länger, dass die Welt untergeht, weil Kinder im Windelalter plötzlich ein Tablet oder ein Smartphone in den Händen halten und Wischiwaschi machen. Fiete ist einfach und lustig gezeichnet und kommt ohne Sprache aus. Er gilt schon fast als Klassiker, auch Medienpädagogen und Lehrer sind angetan vom kleinen Matrosen.

Fiete ist nur eine von mittlerweile Tausenden Apps für kleine Kinder. Der Markt ist in den vergangenen zwei Jahren regelrecht explodiert. Große „Player“ der Kinderbuch-Welt haben ihre Helden in Apps gepackt: Oetinger die Olchis, der Carlsen Verlag die Conni und die Pixi-Bücher. Beliebte Bücher-Apps, Spiele und Lernprogramme werden pro Titel mehrere Millionen Mal gekauft. Vieles, was früher zwischen den Kieferbrettern des Kinderbuchregals stand, trifft sich heute auf dem Tablet. Die Helden von früher haben ein digitales Upgrade bekommen, die Bücher sind vertont und animiert, mit zusätzlichen Lern-Spielchen versehen. Laut der Vorlesestudie der „Stiftung Lesen“ sind digitale (Lese-)Geräte mittlerweile weit verbreitet: In 25 Prozent der untersuchten Haushalte gibt es Tablets, in etwa 80 Prozent Smartphones. Die Vorlesestudie 2012 beschäftigt sich besonders intensiv mit Kinderbuch-Apps. Diese sind bei der Hälfte aller Eltern bekannt, knapp zehn Prozent nutzten sie schon. Und wer sie einmal nutzt, der bleibt meist auch dabei, sagt die Studie. Tablets sind in Haushalten mit formal niedriger wie auch formal hoher Bildung gleichermaßen verbreitet. Mancher Medienpädagoge hält Tablets deshalb für ein gutes Werkzeug des Chancenausgleichs in der Bildung. So könnten Bilderbuch-Apps das Vorlesen auch dort selbstverständlich machen, wo der Griff zum Buch eher nicht üblich ist.

Apps sind auch nicht der Tod des papierenen Buchs, sagt die Vorlesestudie voraus: Denn sie werden überwiegend ergänzend genutzt. Eltern differenzieren nämlich: Sie nutzen die App für unterwegs, wenn das Kind Zeit überbrücken muss. Und das klassische Papier-Buch weiterhin vor allem zum Lese-Kuscheln.

Die Helden von früher haben ein digitales Upgrade bekommen.

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Viele Eltern stehen dem neuen Gerät und der ebenso neuen Lesetechnik noch immer kritisch gegenüber, wie unterschiedliche Studien bezeugen. Was daran liegen mag, dass der App-Markt für Kinder noch vollkommen unübersichtlich ist. Wer nach „guten Apps“ für kleine Kinder sucht, der verliert schnell den Überblick. Zwar sind Apps oft günstig, manchmal sogar kostenlos. Doch wirklich prüfen kann man das Produkt erst, wenn es bereits heruntergeladen und installiert ist. Es gibt zwar Homepages, die „Gute Apps für Kinder“ anpreisen. Aber oft ist unklar, woher die Autoren ihre Expertise nehmen. Manche Rezension wirkt wie bestellt und ist es sehr wahrscheinlich auch. Wirklich unabhängige Initiativen sind selten, www.gute-apps-fuer-kinder.de gehört dazu. Leider ist die Plattform nicht sehr benutzerfreundlich und wirkt etwas verkopft. Nicht wirklich vertrauenswürdig sind die Altersangaben der App-Hersteller. Oft unterscheiden sich deren Einstufungen stark von denen in den Stores. Es gibt keine offizielle Stelle, die sinnvolle Altersangaben kontrolliert oder vorgibt. Die Fiete-Entwickler sagen, ihre App eigne sich ab einem Jahr, im App-Store aber wird Fiete ab vier Jahren angeboten – dazwischen liegen ganze Kinder-Lebenswelten. Hier sind die Eltern gefordert: Sie müssen genau hinschauen und überlegen, was sie als sinnvoll und unbedenklich erachten. Es gilt auch, einige Fallstricke zu beachten. Manche der Apps kommen zunächst kostenlos daher, werden dann aber durch sogenannte In-App-Käufe sehr teuer. Der Nutzer hat erst nur eine „Hülle“ geladen und muss dann für die richtigen Inhalte bezahlen. Die Spiele brechen nach wenigen Runden oder beim Erreichen eines Zeitlimits einfach ab, das Weiterspielen ist kostenpflichtig. Manche Apps operieren dann dicht an der Grenze zur Illegalität: Wenn das Kind, weil es im Spiel vorankommen will, auf den Kaufbutton klickt, kann das zu Kosten im hohen zweistelligen Eurobereich führen, die später in der Handyrechnung auftauchen.

Noch haben sich Medienforscher und Pädagogen sehr wenig um die sich rasch entwickelnde Welt der Apps gekümmert. Dabei ist auch immer mehr sinnvolle Lern- und Bildungssoftware in den App-Stores zu finden. Diese Angebote zu sichten, zu bewerten und zu bündeln – das ist eine Aufgabe, die bislang noch niemand so richtig in die Hand genommen hat.


Der Artikel ist in der scout-Ausgabe 1_2014 erschienen.

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