YouTube – besser als Schulunterricht?
Jugendliche machen auf YouTube mehr als lustige Videos ansehen oder Influencern folgen – sie lernen für den Schulunterricht. Wirklich wahr! scout vergleicht das Lernen im Unterricht mit dem von YouTube-Clips.
Laut aktueller JIM-Studie ist YouTube das beliebteste Web-Angebot von zwei Dritteln (63 Prozent) der Zwölf- bis 19-Jährigen, gefolgt von WhatsApp (39 Prozent) und Instagram (30 Prozent). Doch nicht nur Jugendliche tummeln sich dort: Mit insgesamt 1,9 Milliarden monatlichen Nutzern ist YouTube das populärste Videoportal weltweit.
Nicht nur Beauty, Gaming und Comedy
Berühmt und berüchtigt vor allem durch seine Influencer, ist YouTube aber mehr als ein Forum für Beauty-, Gaming- oder Comedyfans und wird auch von Bildungsinteressierten genutzt. So ist das weltweit meistabonnierte YouTube-Angebot aus Deutschland kein Let‘s Play- und auch kein Beauty Channel, sondern ein Lern- und Wissenskanal namens „Kurzgesagt – In a Nutshell“. Hier werden vorrangig Themen aus Physik, Biologie, Gesellschaft und Politik in kurzen Animationen dargestellt. Der englische Hauptkanal hat weltweit über neun Millionen Abonnenten, hierzulande sind es fast 700.000. Ebenfalls zur Gruppe der Spitzenreiter zählen „TheSimpleClub“ oder „Wissenswert“. Nur „MrWissen2Go“ spielt in einer höheren Liga und hat in Deutschland die Millionen-Abonnenten-Marke geknackt.
Auch wenn die Lieblingskategorien der Kids bei YouTube laut JIM-Studie Musikvideos (54 Prozent), lustige Clips (41 Prozent) und Let‘s Plays (32 Prozent) sind, landen Erklärvideos für Themen aus Schule und Ausbildung (20 Prozent) bereits auf Platz 8. Und auch wenn Kanäle von Julien Bam, BibisBeautyPalace oder GermanLetsPlay weitaus mehr Abonnenten und Fans haben, sind EduTuber, die YouTuber der Bildungsszene, auf dem Vormarsch.
Besondere Relevanz für die Bildungslandschaft
Die Studie „Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019“ vom unabhängigen Expertengremium „Rat für kulturelle Bildung“ geht sogar noch weiter und hält fest: YouTube hat die Bildungslandschaft verändert. Für die Studie wurden unter anderem zwölf- bis 19-jährige Schüler genauer nach ihrer Nutzung digitaler Plattformen und den Gründen hierfür befragt. Mit ähnlichen Ergebnissen wie die JIM-Studie: Das Lernen mit YouTube-Clips ist für Jugendliche von großer Bedeutung. Die Hälfte der YouTube nutzenden Schüler (47 Prozent) halten YouTube für schulische Belange für wichtig oder sehr wichtig. Sie ziehen die Lernvideos vor allem heran zur Wiederholung von Inhalten, die sie im Unterricht nicht verstanden haben (73 Prozent), sowie zur Unterstützung von Hausaufgaben oder Hausarbeiten (70 Prozent), aber auch für die Vertiefung des Wissens aus der Schule (66 Prozent) oder zur Vorbereitung für Prüfungen (60 Prozent). Eine Analyse der Körber-Stiftung fand zudem heraus, dass unter sechzig YouTube-Kanälen, kategorisiert nach Schwerpunkten, mit zwanzig Angeboten die MINT-Fächer am stärksten vertreten waren, gefolgt von den sozialwissenschaftlichen Fächern und von Allgemeinwissen zum Zeitgeschehen. Hier scheint der Nachhilfebedarf am größten zu sein.
Vorteile von YouTube gegenüber dem Schulunterricht
Als einen wichtigen Vorteil des audiovisuellen Lernens mit YouTube-Clips im Vergleich zum Unterricht in der Schule benennen die Jugendlichen die Aufbereitung und Präsentation der Inhalte. Die Videos seien für viele verständlicher und einprägsamer. Auch der größere Unterhaltungsfaktor wird öfter genannt, die Videos seien meist „nicht so spießig“.
Des Weiteren erkennen die Jugendlichen die ständige Verfügbarkeit der Lernvideos hoch an. Die Clips können immer und überall, in Ruhe, ohne Störungen und ohne zeitlichen Druck angesehen werden. Das kommt den Lernrhythmen und Lernzeiten von Jugendlichen entgegen.
Die Möglichkeit der beliebigen Wiederholung ist für die Jugendlichen ebenfalls ein Gewinn gegenüber dem Schulunterricht. Auf YouTube wird ein Clip eben so lange angesehen, bis die Binomischen Formeln in Mathe sitzen - Schulunterricht kann nicht immer auf die unterschiedlichen Leistungsniveaus und Lerntempi eingehen. Seinen „Lehrer“ kann man sich auf YouTube auch aussuchen: Versteht man EduTuber X nicht, ist eben EduTuberin Y dran. In der Schule muss man mit Herrn Müller klarkommen, mindestens ein ganzes Schuljahr lang – und der ist schon mal ungeduldig, krank oder hat einen schlechten Tag.
Vorteile des Schulunterrichts gegenüber YouTube
Der Vorteile von YouTube-Lernclips gegenüber dem Schulunterricht sind sich die Jugendlichen deutlich bewusst, aber – für Erwachsene vielleicht überraschend – durchaus auch ihrer Grenzen: Beim persönlichen Kontakt und im direkten Austausch mit Lehrern können Video-Clip und YouTuber nicht mithalten. Und auch die hilfreichen Gespräche mit Mitschülern sowie Gruppenarbeit ersetzt das Video nicht.
Bei Rückfragen sind Lehrkräfte und Mitschüler den EduTubern eindeutig überlegen und können unmittelbar auf Nachfragen eingehen und schnelle Hilfe leisten.
Erstaunlich ist, dass nur wenige die Qualität des Unterrichts, sichergestellt durch qualifizierte Lehrkräfte und vertrauenswürdige Informationsquellen, als Vorteil von Schule ansieht. Dennoch wünschen sich 60 Prozent der befragten jugendlichen YouTube-Nutzer im Unterricht eine kritische Auseinandersetzung mit YouTube-Videos und der Plattform im Allgemeinen. Sie sind sich offenbar bewusst, dass hinter YouTube der Großkonzern Google steckt. Und dass mit YouTube nicht nur auf das Sammeln von Daten durch spezialisierte Algorithmen einhergeht, sondern auch Phänomene wie Falschmeldungen, Hass im Netz und Cyber-Grooming. Da scheint so mancher Vorteil schnell an Wert zu verlieren.
Fazit
YouTube ist das Leitmedium der Jugendlichen. Und auch wenn es kein pädagogisches Medium ist, wird es durchaus auch als solches von ihnen genutzt. Das sollten Erwachsene und insbesondere Pädagogen berücksichtigen. Ein Abgucken bei EduTubern, was Inhalte, Didaktik und Präsentationsform angeht, schadet Lehrkräften sicher nicht. Ebenso ein Feedbackeinholen von ihren täglichen Followern – den Schülern, auch davon kann man lernen.
YouTube kann durchaus als Ergänzung zum Schulunterricht herangezogen werden, sowohl von Schüler- als auch von Lehrerseite. Was dabei aber unbedingt, insbesondere von Eltern, bedacht werden muss: Dass bei YouTube dem großen Plus „immer und überall“ die Unsicherheit „richtig oder falsch“ gegenübersteht. Noch viel problematischer ist das dortige Nebeneinander von Bildung und Gewalt: Direkt neben „seriösen“ Erklärclips zur Vektorrechnung oder dem Säure-Basen-Crashkurs stehen Videos rechtsextremer Gruppierungen oder gewalthaltige Gameplays. Nicht umsonst hat YouTube ein 18er-Jugendschutz-Label. Da ist das „spießige“ Klassenzimmer dann doch der bessere Raum zum sicheren Lernen.
Weiterführende Links
Studie „Jugend/YouTube/Kulturelle Bildung. Horizont 2019“ (Rat für kulturelle Bildung)
Analyse „Lernen ohne Schule. Wie YouTube und Co. die Bildungswelt verändern“ (mmb Institut im Auftrag der Körber Stiftung)
Themenbereich „Lernen mit YouTube“ (klicksafe)
JIM-Studie 2018 (Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest)