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Wie vermitteln wir Kindern und Jugendlichen das „Handwerkszeug“ des Journalismus?

Informationen recherchieren und richtig einzuordnen können ist wichtiger denn je. Kerstin Schröter vom Verein „Journalismus macht Schule“ sagt, wie Kinder und Jugendliche diese Kompetenzen erlernen.


Kerstin Schröter ist hauptberuflich Sprache- und Kommunikations- sowie Medien-Lehrerin an der Fachschule für Sozialpädagogik, dem Fröbelseminar, in Hamburg. Außerdem bildet sie am LI – Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung Hamburg Lehrkräfte aus und fort. Zuvor hat sie als freie Journalistin für verschiedene Medien on- und offline gearbeitet. Sie engagiert sich im bundesweiten Verein „Journalismus macht Schule“.

https://journalismus-macht-schule.org/

Sie engagieren sich im Verein „Journalismus macht Schule e.V“. Wer und was steckt dahinter?

Wir sind ein bundesweites Netzwerk zur Förderung von Nachrichten- und Informationskompetenz von Kindern und Jugendlichen, aber auch erwachsenen Berufsschüler*innen und Lehrkräften. Wir, das sind Akteuer*innen aus den Bereichen Medien, Bildung und Politik - zum Beispiel öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten wie ARD und ZDF, Zeitungen wie ZEIT und Süddeutsche und Bildungs- und Aufklärungsinitiativen rund um Desinformation wie Correctiv, Reporterfabrik, Lie Detectors oder Netzwerk Recherche. Aber auch Journalistenschulen, Akteur*innen der Lehrkräftefortbildungen, Medienpädagog*innen, Landesmedienanstalten und Institutionen der politischen Bildung sind in unserem Verein. Unser Vereinssitz ist Hamburg. Je nach Bundesland sind unsere Angebote recht unterschiedlich, das hängt von den jeweiligen Kooperationspartner*innen vor Ort ab.

Was sind das für Angebote?

Wir haben uns fokussiert auf das Thema Nachrichten- und Informationskompetenz, denn in diesem Medienbereich herrscht unserer Meinung nach großer Nachholbedarf. Es gibt zwar ein breites Bildungsangebot, auf das Lehrkräfte zugreifen können, aber das ist so groß, dass man da schnell den Überblick verliert. Auf unserer Website bündeln wir deshalb beginnend ab der Grundschule Unterrichtsmaterialien wie Tutorials, Arbeitsblätter oder Wissentest zu Themen wie: „Wie entstehen Nachrichten“, „Das Wichtigste zu Presse- und Urheberrecht“ oder „Desinformationen“ sowie bundesweite Bildungsangebote.

Ein weiterer großer Teil unseres Angebots sind die Schulbesuche, bei denen Journalist*innen von Lehrkräften in ihre Schulklassen eingeladen werden können.

Wie läuft so ein Unterrichtsbesuch ab?

Lehrkräfte ab Schulklasse sieben können sich über den Button „Journalistenbesuche“ auf unserer Website an Ansprechpersonen im jeweiligen Bundesland wenden und bekommen dann eine/n Journalist*in vermittelt. Der Unterrichtsbesuch findet in Präsenz oder digital statt. Digital hat den Vorteil, dass auch Schulen außerhalb der „Medien-Standorte“ teilnehmen beziehungsweise auch mehrere Klassen zusammengeschaltet werden können.

Der/die Journalist*in bespricht mit der Lehrkraft ein Thema. Das kann sein: „Wie recherchiere ich gut“, „Wie unterscheidet man News von Fake News“ oder „Was bedeutet „sauberer“ Journalismus“.

So nah kommen Schüler*innen normalerweise nicht an Journalist*innen heran. Dabei lernen sie auch, wie unterschiedlich in verschiedenen Medien mit Falschnachrichten umgegangen wird oder was eine Gegendarstellung ist. Spiegel-Chefredakteur Steffen Klusmann hat einer Schulklasse zum Beispiel mal Auskunft zur Relotius-Affäre gegeben und auch erklärt, wie der Spiegel selbst zur Aufklärung beigetragen hat. Viele junge Menschen wissen oft nicht, wie aufwändig es ist „seriösen“ Journalismus zu betreiben.

In Zeiten von Social Media, wo jede/r munter drauf los posten kann, ist es ja auch nicht verwunderlich, dass Kinder nichts über „seriösen“ Journalismus wissen, oder?

Ja, tatsächlich. Daher hatten wir in unserem Journalist*innen-Pool im Mai zum Tag der Pressefreiheit bundesweit zum Beispiel auch Mirko Drotschmann oder Mai Thi Nguyen-Kim, die den Kindern und Jugendlichen von YouTube als „Mr. Wissen to go“ und „MaiLab“ bekannt sind.

Es gehört zum Mediengrundwissen dazu zu wissen, dass es den Beruf Journalist*in gibt. Und dass damit auch Pflichten einhergehen, wie Inhalte „sauber“ zu recherchieren – egal, wo sie veröffentlicht werden. Das müssen Kinder wissen beziehungsweise vermittelt bekommen.

Der Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen hat den Begriff der „redaktionellen Gesellschaft“ geprägt. Das heißt jede/r, egal wie alt sie/er ist, ist Journalist*in und muss das Handwerkszeug kennen, wie man Medien produziert und gut recherchiert.

Und wie vermitteln wir Kindern und Jugendlichen dieses „Handwerkszeug“?

Der beste Ansatz der Wissensvermittlung ist das Selbermachen, wenn schon die Jüngsten von Konsument*innen zu Produzent*innen werden. Denn das Können zeigt sich im Tun.

Die Schüler*innen können mir viel erzählen oder in Klassenarbeiten über Medien schreiben, erst im Umsetzen des Gelernten in eigenen Produktionen stellt sich heraus, ob sie es auch verstanden haben.

Bestes Beispiel ist hier in Hamburg die Jugendredaktion SchnappFisch bei TIDE – dem Bürger*innensender und Ausbildungskanal. Hier lernen Kinder und Jugendliche übers Selbermachen in Workshops, wie Journalismus funktioniert.

Und schon mit Kindern regelmäßig Nachrichten zu thematisieren hilft, ihnen das Handwerkszeug nahezubringen.

Was beobachten Sie bei Ihren Unterrichtsbesuchen: Warum fällt es Kindern und Jugendlichen so schwer, Falschmeldungen aufzudecken?

Vor allem die jüngeren Kinder vertrauen natürlich dem, was die Erwachsenen sagen. Mama und Papa haben immer recht. Für sie ist es schwer zu verstehen, dass auch falsche Informationen veröffentlicht werden, denn für sie erst einmal alles wahr, was ihnen die Erwachsenen erzählen.

Vielen älteren Kindern bzw. Jugendlichen fehlt das Wissen, was eine gute News ist. Sie brauchen es aber, um sie von Fake News unterscheiden zu können. Das sind Kompetenzen, die sie im Unterricht lernen sollten: Was eine Nachricht, Reportage oder ein Bericht ist. Das ist Thema in der Mittelstufe, spätestens ab Klasse sieben. Später kann es Teil der Abschlussprüfungen sein.

Lehrplan ab Klasse 7?! Müssen wir da nicht schon viel früher ansetzen?

Unbedingt. Sobald ein Kind Informationen aufnehmen kann, sollte es auch lernen, sie kritisch zu hinterfragen. Meiner Meinung nach ist die Grundkompetenz neben dem Rechnen, Lesen und Schreiben auch das Recherchieren. Man kann ja auch nicht rechnen, wenn man die Grundrechenarten nicht kennt. Und so sollte man auch kritisch mitdenken, wenn man liest oder Texte verfasst, und Informationen durch Recherche checken können. Diese vierte Grundkompetenz sollte meiner Meinung nach spätestens in der Grundschule vermittelt werden.

Denn wenn Kinder schon früh lernen mitzudenken, sind sie nicht so einfach manipulierbar. Sind sie aufgeklärt, können besser mitbestimmen. Das ist für unsere Demokratie wichtig. Wir leben in einer Mitmach-Gesellschaft. Dafür brauchen wir mündige Kinder und keine, die Erwachsenen alles glauben.

Kinder sind neugierig, da sind sie den Journalist*innen auch sehr ähnlich. Aber Kinder sind eben auch anfällig für Manipulation, denn das System hinter Falschnachrichten ist für sie schwer nachvollziehbar. Warum sollte mich jemand anlügen, der mich nicht mal kennt? Die Social Skills wie Empathie, Kommunikations- und Kritikfähigkeit sind wichtig für das Leben in einer Demokratie. Diese sollte man schon früh vermitteln.

Apropos früh beginnen, im Hauptjob sind Sie Lehrerin an der Fachschule für Sozialpädagogik, dem Fröbelseminar, in Hamburg und bilden dort angehende Erzieher*innen aus. Ist die Förderung der Informationskompetenz denn schon was für Kita-Kinder?

Ja, auf jeden Fall. Da haben meine Schüler*innen schon richtig gute Ideen entwickelt und ausprobiert. Zum Beispiel die Kinder als Kinderreporter*innen mit Mikrofon ausgestattet losschicken und sie Fragen stellen lassen – auf der Straße oder auch zu Hause. Sie ihre Eltern nach ihrer Biografie oder nach ihrem Beruf ausfragen lassen. Oder ein Hörrätsel zu „Wie klingt mein Tag“ erstellen lassen.

Über genaues Hinhören und genaues Wahrnehmen lernen die Kinder auch kritisch zu sein.

Die eigene Produktion beispielsweise von Interviews stärkt ihr Selbstbewusstsein, vor allem wenn ihre Ergebnisse später vor Eltern präsentiert werden. Audioarbeit ist dafür sehr gut geeignet. Das kann jedes Kind.

Eine meiner angehenden Erzieherin hat mit Vierjährigen eine Redaktionskonferenz gemacht, bei der alle Kinder mitbestimmen durften, welches Thema die kleinen Reporter*innen erforschen möchten. Meine Schüler*innen haben unter anderem einen Elternabend über „Fake News“ gehalten und Infoflyer gestaltet und für die Kinder eine Bilderbuchgeschichte zum Thema erstellt. Sogar eine eigene Radiosendung hat der Kurs produziert.

https://www.bs30.de/aktivitaeten-news/aktivitaeten-und-veranstaltungen/aktivitaeten-detail/wpu-webreporterinnen-bei-tide

Welchen Tipp geben Sie Eltern noch mit auf dem Weg, um Kinder in ihrer Medienkompetenz zu stärken?

Es gibt einige gute altersgerechte Angebote für Kinder, wie „logo“ oder auch Print-Magazine. Die können Eltern gemeinsam mit ihren Kindern anschauen und dann über die Inhalte sprechen. Auch die Bundeszentrale für politische Bildung hat Angebote, der SWR zum Beispiel den Fake Finder Kids, oder der Deutschlandfunk – übrigens teilweise auch in einfacher Sprache. Vielleicht lohnt auch eine Nachfrage bei Kitas oder Schulen nach Unterstützungsangeboten.

Wichtig ist aber auch Medienpausen einzulegen und sich nicht immer und überall zu informieren oder News permanent zu konsumieren. In Zeiten von Social Media mit ihren endlosen Informationen ist das gar nicht so einfach.

Besonders wichtig finde ich, dass Eltern wissen, dass es nicht schlimm ist, selbst Wissenslücken zu haben. Sie sollten ihren Kindern den Weg zu Informationen nicht verwehren, sondern sie dabei unterstützen, ihn zu finden. Bestenfalls lernen sie gemeinsam mit den Kindern. Eltern können auch Vorbilder sein, indem sie selbst Nachrichten lesen, hören oder sehen. Denn, das wusste schon Karl Valentin: „Wir brauchen unsere Kinder nicht erziehen, sie machen uns sowieso alles nach.