Wie Dr. Quirk einmal fast die Welt zerstört hätte

Beim „Game Jam“ lernen Jugendliche, wie man Künstliche Intelligenz für eigene Zwecke nutzt – und sie dabei gleichzeitig hinterfragen kann.

Sommerferien in Hamburg. Statt ins Freibad zieht es 16 Jugendliche zum „Game Jam“: Sie wollen gemeinsam Computerspiele entwickeln zum Thema „Hello AI – save the world, please!“ – und lernen dafür, beim Programmieren auch Künstliche Intelligenz zu nutzen.

Dafür treffen sich die jungen Leute im Alter zwischen 13 und 18 Jahren schon seit vier Tagen jeden Morgen pünktlich um 10 Uhr in der Bibliothek des Hamburger Spieleentwicklers „Innogames“, der die Räumlichkeit zur Verfügung gestellt hat. Hier stehen tat­ sächlich ein paar Bücher im Regal – wie das „Hacker’s Handbuch“. Aber eigentlich dominieren hier viele breite Computerbildschirme auf Arbeitstischen.

„Ich muss das noch prompten“, sagt Max. Er bildet mit drei weiteren Jungs – Tim, Oke und Torge – eine Entwickler­gruppe. Namen interessieren aber kaum, sie sprechen sich grundsätzlich mit „Bro“ an. Zusammen programmieren sie seit vier Tagen ein Spiel, in dem es um die Rettung der Welt geht. Ein falscher USB­Stick und ein gewisser „Dr. Quirk“ spielen dabei eine Rolle. Die vier stecken die Köpfe zusammen, schauen auf den Bildschirm des Rechners, auf dem das Spiel laufen soll, besprechen etwas, setzen sich dann wieder an ihre getrennten Laptops, entspannt, aber fokussiert.

Die meisten der jungen Leute hier haben schon mal ein kleines Game entwickelt, Fachbegriffe huschen ihnen wie selbstverständlich über die Lippen. Eher neu ist für sie das Programmieren und Gestalten von Spielen mithilfe von Künstlicher Intelligenz, so wie beim Game Jam „Future Games“. „Prompten“ bedeutet, KI­Tools durch Eingabe exakter Anweisungen so zu trainieren, dass sie die gewünschten Ergebnisse liefern – und nicht eigene, zufällige, wozu sie in der Lage wären. Bei Spielen steht am Ende: mehr Spaß, weil sie den individuellen Vorlieben ihrer Entwickler*innen entsprechen. Beim Hamburger Game Jam hat das exakte Prompten den Jugendlichen geholfen, verwendbare Ergebnisse zu erhalten: Denn KI-­Tools ermöglichen, auch ohne IT-­Vorbildung innovative Spiele zu entwickeln.

Insgesamt sitzen beim Game Jam vier Gruppen an vier verschiedenen Spielen. Max’ Team ist homogen besetzt, alles Jungs, 9. und 10. Klasse. Zusammengefunden haben sie am ersten Tag. Zum Kennenlernen mussten sie auf kleinen Steckbriefen ihre Vorerfahrungen im Gaming oder im Entwickeln notieren und diese dann an Flipcharts hängen. Andere Teams en, sind bunter gemischt. Hierzu zählen zum einem Clara, 13 Jahre alt, und Zoe, die schon 18 ist. Dazu kommen noch Ai­Hoa, 14. Und Tillman, der 16 Jahre alt ist. Die jungen Spielentwickler*innen sind egalitär unterwegs: In den Gesprächen und Diskussionen wird jedes Gruppenmitglied gleich ernst genommen, Einwände und Ideen werden auf Augenhöhe diskutiert. Alle bringen ihre individuellen Fähigkeiten ein. Die einen zeichnen die Figuren, so wie Zoe für das Spiel ihres Teams ein KI­Wesen, das wie eine Qualle aussieht. In einer weiteren Gruppe arbeitet Marcel hauptsächlich an den Texten, Jolina entwirft Story und Charaktere. Ein Junge namens Deyar kreiert einen neuen Gamesound.

„Playtest!“, ruft Christiane Schwinge. Sie ist von der Initiative Creative Gaming, einem bundesweit tätigen Verein mit Sitz in Berlin, der den Game Jam initiiert hat. Die Jugendlichen kommen zusammen, schauen sich an, was die jeweiligen Gruppen bisher geschafft haben. Schwinge spielt gleich einmal das Dr.-Quirk- Spiel, die anderen schauen ihr zu. Es gibt Kommentare und Anregungen. Und es gibt jede Menge Lob untereinander: „Das ist so cool, dass du das hinbekommst.“

Christiane Schwinge leitet den Game Jam zusammen mit ihrem Vereinskollegen Andreas Hedrich. Die Diplom­Pädagogin arbeitet als freie Medienpädagogin, hat selbst schon Spiele entwickelt und gehörte 2007 zu den Gründungsmitgliedern der Initiative Creative Gaming, genauso wie Hedrich, ein Soziologe und Medienpädagoge.

„Unser Verein hat es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht, einen alternativen, künstlerischen und dadurch auch kritischen Umgang mit Computerspielen zu schaffen“, sagt Schwinge. Für die Vorbereitung von „Future Games“ habe man sich mit an­ deren Vereinsmitgliedern – Gaming­ begeisterte, Medienkünstler*innen, Pädagog*innen – über neun Monate regelmäßig getroffen. „Bei der Österreicherin Magdalena Reiter haben wir als Vorbereitung zusätzlich einen Online-­Crashkurs zu Künstlicher Intelligenz in Kunst und Kultur belegt.“ Die Themen: Was kann KI überhaupt? Was sind Prompting und Tools? Aber auch: Wie ist die aktuelle rechtliche Lage, etwa bei Missbrauch?

Workshops sind nur eines der Angebote der Initiative. Sie organisiert auch das jährliche PLAY – Creative Gaming Festival in Hamburg. Auch das „Schulpraktikum Games“ gehört seit 2021 zum Portfolio des Vereins. In diesem Sommer konnten Schüler*innen aus 9. Klassen Berufe und Ausbildungsgänge bei Innogames kennenlernen. Das Unternehmen mit 350 Mitarbeitern ist der Sponsor von „Future Games“. Gefördert wurde der Jam auch durch die PwC­-Stiftung und von der Hamburger Schulbehörde. Die Teilnahme ist kostenfrei.

Jolina ist eine von denen, die bereits früher an Veranstaltungen von „Creative Gaming“ teilgenommen hat, wie auch Ai­Hoa oder Tillman. Leander aus Gruppe vier jedoch hat sich selbst angemeldet, nachdem er im Programm des Hamburger Ferienpasses „Future Games“ entdeckt hatte. Er sitzt zusammen mit drei anderen Jungs in einem kleinen Konferenzraum nahe der Bibliothek. Sie konzipieren ein sogenanntes Bossfight-­Spiel: Der Dr. Quirk aus Gruppe eins trifft dort auf den „echten“ Dr. Quirk, einen besonders starken und mächtigen Gegner. Leander und seine Mitentwickler haben sich gleich am ersten Tag mit ihrer Idee vom Rest der Truppe separiert, für die anderen war das völlig okay.

Wie alle hier liebt es Leander, Spiele zu entwickeln: „Man fühlt sich frei, wenn man ein eigenes Spiel entwickelt.“ Man könne einfach sein, was man will. Und wie alle hier findet auch er, dass das Thema in der Schule viel zu kurz kommt: „Informatik-­Unterricht findet kaum statt.“ Oder es unter­ richten Lehrer, die sich notdürftiges Wissen darüber angeeignet haben.

Beim Thema Künstliche Intelligenz hinken die Schulen erst recht hinterher. Für den zweiten Tag des Game Jam war eine weitere KI­-Expertin eingeladen. Mit ihr konnten die Jugendlichen unter anderem einen Bot aus einem KI­-Tool testen, ein Computerprogramm, das vorher definierte Aufgaben automatisiert ausführt. Ideal programmiert, können Bots in Computerspielen Mitspieler*innen sein. Im Internet kennt man Bots aber auch, weil sie die Vorlieben von User*innen heraus­ filtern können und dann Spam­Mails verschicken.

Bei den Gamern des Jams in Hamburg ist man sich einig: KI ist eine tolle Helferin. Wie Bots sollte man Künstliche Intelligenz aber auch kritisch betrachten. Schlecht sei zum Beispiel, dass KI in Zukunft viele Berufe ersetzen könnte, findet Leander.

Dass die Jugendlichen KI durch­ ausdifferenziert sehen, drückt sich auch in ihren Spielen aus. Die von Zoe gezeichnete „Qualle“ im Spiel Jell­E guckt ganz schön böse drein und kann sterben, wenn man sie zu sehr einschüchtert. Und im Spiel mit Dr. Quirk ist die KI erst eine Bedrohung, bevor sie hilft, dass die Welt nicht untergeht.

Mittagspause in der Kantine: Hier gibt es nicht nur Essen und Getränke, hier wollen auch ein Tischkicker, ein Flipperautomat oder eine Tischtennisplatte zum Spielen verführen. Doch die Zeit drängt. Die Games sollen bis morgen fertig werden, rechtzeitig zur großen Präsentation. Einige Eltern werden kommen, Geschwister und Freund*innen.

Am Tag der Präsentation passiert in Leanders Bossfight-­Gruppe dann die größte anzunehmende Katastrophe. Das Spiel ist fast fertig – und stürzt plötzlich ab. Araz hatte gerade daran gearbeitet, noch etwas Feinschliff, man wähnte sich auf der Zielgeraden. Die Jungs haben gelacht, weil ein Comicbild aus dem Internet, das man per Beamer an die Wand wirft, aussieht wie Albert Einstein in lustig. Da ruft Araz „O nein!“, stöhnt laut auf, die anderen gucken erschrocken. Die Arbeit von vier Tagen: futsch?

Doch niemand macht Araz einen Vorwurf (der, wie sich später heraus­ stellt, tatsächlich völlig schuldlos am Crash ist). Alle bleiben ruhig und überlegen gemeinsam, wie man das Spiel doch noch retten könnte. Bald aber steht fest: Sie werden nichts präsentieren können. Nichts. Die Jungs sind ziemlich geknickt. Doch sie muntern sich nach kurzer Zeit auch gegenseitig auf. Die Gamer sind in dieser Ferienwoche zu einem eingeschworenen Haufen geworden.