Wenn Sie die beiden Begriffe Kita und Medien hören, was fällt Ihnen dazu ein?
Interview mit Dr. Dirk Bange, Leiter der Abteilung „Familie und Kindertagesbetreuung“ im Amt für Familie der Behörde für Arbeit, Gesundheit Soziales, Familie und Integration.
Wegen der Corona-Pandemie mussten die Kitas auch in Hamburg vorübergehend schließen. Manche Hamburger Kita hat versucht, über Online Kommunikation den Kontakt zu den Kindern und ihren Eltern aufrecht zu erhalten. Was halten Sie von solchen „digitalen Spielkreisen?“
Tablets, Videos, Fotorahmen in der Kita sind Beispiele dafür, dass „digital“ schon längst in der Kita angekommen ist. Wir haben nun durch die Pandemie beschleunigt erlebt, dass trotz der Diskussionen um die Risiken eines frühen Medienkonsums von Kindern auch große Chancen und neue Möglichkeiten eröffnet werden können. „Digitale Spielkreise“ sind ein Beispiel dafür, dass die pädagogischen Fachkräfte in Kitas gemeinsam mit den Eltern engagiert und kreativ digitale Chancen erkannt haben. Digital kann jedoch niemals „real“ völlig ersetzen. Aber es kann eine neue Erfahrungswelt auch in Kitas eröffnen.
Kinderwelten werden immer mehr auch Medienwelten. Der erste Kontakt mit digitalen Medien erfolgt immer früher in der Kindheit. Dass Medienbildung deshalb früh beginnen muss, setzt sich immer mehr durch. Wenn Sie die beiden Begriffe Kita und Medien hören, was fällt Ihnen dazu ein?
Kinder kommen von Geburt an mit Medien, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, in Berührung. Es ist daher notwendig, dass Kinder im frühen Kindesalter nicht mit ihren Medienerfahrungen allein gelassen werden. Im Dialog mit den Erwachsenen können und müssen sie auch Kompetenzen im kritischen Umgang mit Medien erwerben. Medienerziehung ist eine grundlegende Daueraufgabe im gesamten Bildungswesen, und Kitas bieten die Chance, Kindern sowohl einen medienfreien Raum zu bieten als auch bewusst Medien zur Aneignung von Wissen und neuen Techniken der Kommunikation zu nutzen. Digitale Medien können übrigens auch für Kinder mit besonderen Bedürfnissen und Behinderungen eine große Hilfe sein und ihnen Kommunikationswege eröffnen, die ihnen ansonsten verschlossen wären.
Viele Eltern (und ja auch Erzieher*innen) sehen Medien in Kits durchaus kritisch …
Die Begriffe „Kita“ und „Medien“ fordern einen offenen Diskurs zwischen Wissenschaft und Praxis und konkret im Kita-Alltag zwischen den pädagogischen Fachkräften und auch den Eltern. Fragen wie „welche Medien sind in welchem Alter angemessen und wieviel Medienzeit ist sinnvoll? Wo können Medien die Entwicklung unterstützen und auf welche Weise können Kinder vor Gefahren durch Medien geschützt werden? Wie nutze ich selbst digitale Medien und was lebe ich damit vor?“ Hier ist ein kontinuierlicher Dialog über Chancen und Grenzen zwischen Medienpädagoginnen und -pädagogen, pädagogischen Fachkräften und Eltern notwendig.
Gibt es Beispiele für ein besonders gelungenes Zusammenspiel, die Sie beeindruckt haben?
Beeindruckt hat mich im letzten Jahr insgesamt, wie kreativ viele Kitas die digitalen Medien genutzt haben, um mit den Kindern in Kontakt zu bleiben. Ein Beispiel hat mich dabei besonders berührt: Eine Kita hat ihren Kindern digitale Briefe geschrieben. Für einige der Kinder war das der erste Brief, den sie in ihrem Leben bekommen haben. Die Kinder waren davon sehr beeindruckt.
Beeindruckt hat mich im letzten Jahr insgesamt, wie kreativ viele Kitas die digitalen Medien genutzt haben, um mit den Kindern in Kontakt zu bleiben.
Sind Hamburgs Kitas denn auf einem guten Weg, die oben formulierten Ansprüche zu erfüllen? Will die zuständige Sozialbehörde lenkend oder fördernd eingreifen?
Aus meiner Sicht sind die Hamburger Kitas auf einem sehr guten Weg. Die Kitaträger und -verbände hatten sich schon vor der Corona-Pandemie auf den Weg gemacht, sich mit der Bedeutung von Medien in der Kita-Pädagogik auseinanderzusetzen, Fortbildungsformate, Workshops zu Themen rund um „digitale Bildung“ zu entwickeln und ihre Kita-Fachkräfte zu qualifizieren. Im Rahmen des Bundesprogramms „Sprach-Kitas“ und des Landesprogramms „Kita-Plus“ haben wir im Frühjahr 2021 als Sozialbehörde gemeinsam mit allen Kitaträgern und Verbänden und in Kooperation mit Blickwechsel e.V. eine digitale Tagung mit dem Titel: „Medienbildung von Anfang an: Hintergrundinformationen, Gelingensbedingungen und Praxisbeispiele für den Kitaalltag“ durchgeführt. Damit haben wir den seit 1.1.2021 neuen Themenschwerpunkt „digitale Bildung“ des Bundesprogramms „Sprach-Kitas“, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird und an dem ca. ¼ aller Hamburger Kitas teilnehmen, die einen besonders hohen Anteil von Kindern nicht-deutscher Familiensprache betreuen, aufgegriffen. Es geht insgesamt darum, übergreifend von Anfang an die Bildungsinstitution Kita mitzudenken und die Bedeutung von Medien für die frühe Bildung, für die Kinder und Familien im Blick zu haben.
Wir unterstützen darüber hinaus eine Vielzahl von Initiativen und Veranstaltungen, die den interdisziplinären Diskurs zur „Medienpädagogik in Kitas“ in Hamburg fördern. Als für die Kitas zuständige Behörde verfolgen wir das Ziel, einen übergreifenden Rahmen zu schaffen, der Orientierung ermöglicht, Diskurs fördert und Möglichkeiten eröffnet, Medien in ihren vielfältigen Ausprägungen einzusetzen – immer in Anbetracht der Chancen und Risiken, die diese für die Gesellschaft und somit auch für die Kinder und ihre Familien haben.
Ist Medienerziehung Ihrer Meinung nach ausreichend in den Ausbildungswegen für Erzieher*innen verankert?
Medienerziehung ist fester Bestandteil der Erzieherinnen und Erzieherausbildung – unabhängig davon, ob der Abschluss an einer Fachschule für Sozialpädagogik, an der Berufsfachschule für Sozialpädagogische Assistenz (SPA-Ausbildung) oder an der Hochschule für angewandte Wissenschaften im Studiengang „Soziale Arbeit und Frühe Bildung und Erziehung in der Kindheit“ erlangt wird. In Ausbildung und Studium werden sowohl theoretisches Wissen über die Entwicklung von Medienkompetenz erworben als auch eine vertiefte methodische Praxis, so dass ein breites Spektrum an medienpädagogischer Handlungskompetenz eröffnet wird. Dennoch erfordert die rasante Weiterentwicklung im Bereich der Mediennutzung bereits im Kindesalter auch eine kontinuierliche Weiterbildung auf Seiten der Fachkräfte. Der jährlich stattfindende Praxistag „Medienerziehung in Hamburger Kitas“, der als Teil der Veranstaltungsreihe „Frühe Kindheit und Medien“ jährlich von der Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein in Kooperation mit den Staatlichen Fachschulen für Sozialpädagogik und weiteren Kooperationspartnern durchgeführt wird, ist ein wertvolles Format kontinuierlich den Dialog zwischen Ausbildung und Praxis und damit auch Weiterentwicklungen in Lehre und Praxis zu fördern.
Woran erkennen dann Eltern, ob eine angemessene Medienerziehung in den einzelnen Kitas stattfindet?
Medienerziehung als ein Teilaspekt der Hamburger Bildungsempfehlungen sollte in den einrichtungsbezogenen pädagogischen Konzepten der Kitas ausdifferenziert sein. Die Prüfung der pädagogischen Konzepte durch das 2019 eingeführte Kita-Prüfverfahren nimmt allerdings alle Bildungsaspekte gleichermaßen in den Blick. Bei einer Kita-Prüfung wird bei den Vor-Ort-Besuchen im Gespräch mit den Kita-Leitungen in Erfahrung gebracht, wie konkret die Bildungsbereiche im pädagogischen Alltag umgesetzt werden. Beispielsweise, ob die jeweilige Kita über Lese- und Musikangebote auf Speichermedien (bspw. Bücher, Tablets, CDs) oder sonstige Angebote, gegebenenfalls auch in verschiedenen Sprachen, verfügt und ob Kinder sich an verschiedenen Medien ausprobieren können. Primär werden bei Kita-Prüfungen aber die eher strukturellen Standards in den Blick genommen. Das Abschlussgespräch der Kita-Prüfung findet unter Beteiligung der Eltern statt. Sollte im Ergebnis einer Kita-Prüfung ein Mangel festgestellt werden, werden die Eltern im Abschlussgespräch darüber informiert.
Wie bewerten Sie die Entwicklung der Medienerziehung in Kitas innerhalb der zurückliegenden zehn Jahre?
Die Haltung zum Einsatz digitaler Medien in den Einrichtungen verändert sich sowohl bei den Fachkräften als auch bei den Eltern. Im Zuge der Corona-Pandemie hat die Digitalisierung einen enormen Schub erhalten. Das halte ich für richtig und wichtig. Lange dominierte die Ansicht, Schulen und insbesondere Kitas als eine Art Schutzraum zu betrachten, in dem die Kinder erst einmal vielfältige Sinneserfahrungen machen können und sollen. Dieser Ansatz schien mit dem Einsatz digitaler Medien nicht vereinbar. Doch genau darum geht es: Die Möglichkeiten digitaler Medien zu nutzen und diese unterstützend einzusetzen, zum Beispiel im Rahmen eines Naturprojektes, in dem man im Wald auf Fotosafari geht…! Die ausschließlich analoge Kita halte ich nicht mehr für zeitgemäß.
Zu guter Letzt: Welche Wünsche geben Sie uns mit auf den Weg?
Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiterhin mit Kreativität und Freude den Themen auf den Grund gehen, Impulse setzen, Kontroverse aufgreifen, den kritisch-konstruktiven Diskurs fördern und mutig bleiben, auch komplexe Themen auf die Agenda aller betroffenen Akteure im Kontext Medienerziehung zu setzen.