Was können wir noch glauben?

Die „Deepfake Detectives“ kommen zum Einsatz, wenn Schüler*innen in die Geheimnisse der Manipulation von Bildern, Filmen und Tönen eingeweiht werden.


Colin Kavanagh ist einer der Erfinder des erfolgreichen schleswig-holsteinischen Medienkompetenzprojekts.

Colin Kavanagh, Mitgründer der Firma „techagogics“, die www.deepfake- detective.de für die Staatskanzlei Schleswig-Holstein entwickelt hat. Termine sind für Schulen kostenlos. Kommendes Jahr gibt es neue Workshops zu „KI und Demokratie“: „GPT Detective“ und „Data Detective“ zeigen, wie Entscheidungen datenbasiert getroffen werden . „Conspiracy Detective“ nimmt den Einfluss der KI bei Verschwörungstheorien unter die Lupe.

scout: Bevor wir richtig loslegen – was sind überhaupt „Deepfakes“?

Colin Kavanagh: Wir verstehen darunter die Manipulation von Fotos, Filmen oder Tonaufnahmen per Künstlicher Intelligenz. Ein Beispiel: Ihr kennt vielleicht den Papst in der aufgeblähten, weißen Daunenjacke? Das sieht lustig aus – doch oft werden Deepfakes auch für Fake News genutzt. So hat Donald Trump im US-Wahlkampf ein Deepfake-Bild von Taylor Swift generiert, um so die „Swifties“ von ihm zu überzeugen. Das hat Taylor Swift aber gar nicht gefallen.

Und was tun die „Deepfake Detectives“ dagegen?

Wir bieten Schulklassen aus dem Norden kostenlose halbtägige Workshops bei uns in Kiel an, bei denen sie eine Detektiv-Ausbildung erhalten: In verschiedenen interaktiven Stationen begegnen sie Deepfakes und lernen, diese anhand von verschiedenen Kriterien zu erkennen, die wir gemeinsam erarbeiten. Unser Ansatz ist aktivierend, macht Spaß. Mittlerweile haben über 2.000 Schüler*innen aus den 5. bis 10. Klassen ihren Detektiv-Ausweis bekommen.

Ein Beispiel für eine solche „interaktive Station“?

Das fiktive „Amt für Cyberkriminalität“ betreten die Schüler*innen mit der Virtual-Reality-Brille. Erkennen sie ein gefälschtes Bild, müssen sie es in der Virtual-Reality-Welt gegen die Wand des Amts werfen und zerstören. Das ist unser Highlight, die Jugendlichen und auch Lehrkräfte lieben es!

Ist alles so spannend und so „aktiv“?

Wir diskutieren auch sehr viel gemeinsam mit den Schüler*innen über viele Aspekte der KI. Und wir wollen sie vorher erst einmal abholen, erfahren, wie sie KI in ihrem Alltag selbst erleben, welche Berührungspunkte es schon gibt. Grundsätzlich geht es uns darum, dass wir den klassischen Unterricht ergänzen wollen, mit Inhalten, die Spaß machen, aktivieren und gleichzeitig sehr relevant sind.

Und welche gibt es?

Ganz klar: Künstliche Intelligenz ist längst in der Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen angekommen! Wenn wir nach Beispielen fragen, sagen viele: „Ich kenne da ein TikTok von einem Schauspieler, ist gedeepfakt worden.“ Oder sie haben bereits ChatGPT genutzt. Dass sie solche Erfahrungen gemacht haben, heißt aber noch lange nicht, dass sie auch eine Kompetenz im Umgang besitzen. Bei Lehrer*innen ist das oft eher umgekehrt: Die haben selbst weniger Kontakt mit KI – aber genau hier öffnet sich dann die Chance, gemeinsam miteinander zu lernen, in den Austausch zu gehen.

Worum geht es in den Diskussionen?

Das große Thema ist: Was können wir glauben? Seit dem Siegeszug von ChatGPT haben ja alle mitbekommen, wie leicht zugänglich KI ist und auch, wie wirkmächtig sie sein kann. Wir reden darüber, was Deepfakes für die Demokratie bedeuten, aber auch, wie man sie vielleicht selbst nutzen kann, für sinnvolle oder auch einfach nur lustige Zwecke. Wenn wir erklären, wie KI-Modelle mit welchen Daten gefüttert werden, wird allen klar, dass mit diesen Vorbedingungen auch die Ergebnisse beeinflusst werden. Das ist alles Thema bei uns. Die Schüler*innen haben diese grundlegenden Hintergrundinformationen ja meist noch nicht. Sie glauben, KI ist eine einzige, große Einheit. Wir brechen das gemeinsam in verschiedene Einzelteile auf. Und sprechen dann auch auftretende Probleme und Chancen an.

Zum Beispiel?

Die Frage der Datensouveränität: Wo kommen die Daten her, auf denen KI beruht? Vielleicht auch von mir? Und will ich das überhaupt? Das mündet auch in ethische Fragen: Sind KI-Bots für einsame ältere Menschen ein tolles Werkzeug? Oder doch irgendwie traurig? Zum Thema digitale Identität: Möchte ich mit allen meinen Daten vielleicht als KI-Anwendung „weiterleben“? Manche finden das toll, andere schrecklich. Da wird ganz spannend debattiert. Insgesamt mache ich mir um diese Generation weniger Sorgen als vorher. Viele Teilnehmer*innen erkennen Deepfakes sehr schnell, nachdem sie Detective geworden sind. Dazu haben Sie tolle Ideen, wofür man Deepfakes sinnvoll nutzen kann. Ich sehe keine Generation, die „an TikTok verloren“ ist! Medienkompetenz ist der Schlüssel, um das vorhandene Potenzial der Jugendlichen zu nutzen und gleichzeitig die Gefahren der KI zu reduzieren.

Das sind alles ja sehr große Themen – und da gehen die Schüler*innen mit?

Unsere Erfahrung: ja! Und das ganz unabhängig davon, ob die Schüler*innen von Berufsschulen oder Gymnasien kommen oder auch aus Inklusionsschulen. Es ist ein gesellschaftliches Thema für alle und für jedes Alter. Diese Zugänglichkeit war uns von Anfang an besonders wichtig. Die Lehrer*innen erzählen hinterher nicht selten, dass beim Workshop stille Jugendliche aktiviert wurden. Und auch, dass solche, die sonst eher für Unruhe im Unterricht sorgen, hier engagiert mitgemacht haben.

Wie erklären Sie sich das?

Erst einmal ist es der Zugang. Die merken: Wir sehen euch, wir hören euch zu. Dann aktiviert auch das Setting außerhalb der übliche Schulsituation. Viele Schüler*innen, die von anderen von den Workshops gehört haben, kommen mit großer Erwartung hier an. Die haben sich teilweise schon monatelang darauf gefreut.

Was haben Sie selbst noch für interessante Erkenntnisse gewinnen können?

Wir finden es erstaunlich, dass die Schüler*innen Deepfakes umso besser erkennen, je jünger sie sind. Es zeigt, dass diese Fähigkeit im Umgang mit KI schon früh aktiviert werden kann. Bei unserer Arbeit selbst haben wir festgestellt, dass die Deepfakes, die wir für den Workshop entwickeln, in einem solchen Maße besser werden, dass wir sie beim ersten Anschauen oder Anhören kaum noch selbst als solche erkennen würden. Das verändert den Zugang zum Thema noch einmal. Wir müssen anerkennen, dass wir in einem Zeitalter der Mehrdeutigkeit leben und mit den Schüler*innen Strategien des Umgangs damit entwickeln. Sie müssen erkennen, dass authentisch nicht mehr automatisch real bedeutet. Das zählt zu den grundlegenden Erkenntnissen, die Medienkompetenz vermitteln muss. Und ist ein grundlegender und laufender Prozess. Unsere Erfahrung ist: Die Schüler*innen haben Lust darauf und machen dabei gerne mit!

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