Reportage

Von Medien und Mäusen

Medienerziehung in Kitas – wie kann das funktionieren? Ein Besuch in der Kita „Sterntaler“ in St. Michaelisdonn in Dithmarschen.

Gerade lugt die Sonne an diesem Morgen ums Eck, als eine Gruppe Fünfjähriger auf den Hinterhof der Kita „Sterntaler“ in St. Michaelisdonn rennt. Auf dem Kopf tragen sie einen Reif aus Pappe, mit langen Ohren daran. Unkundige könnten sie für Osterhasen halten, doch ihr lautes Piepen gibt sie als Angehörige der Mäusefamilie zu erkennen. Sie sammeln Futter für den harten Winter. Nur eine kleine Maus namens Frederick macht nicht mit. Was er denn tue, fragen die anderen Mäuse. „Sonnenstrahlen sammeln“, sagt Frederick. Kitakind Tom ruft „Äktschn“ und tippt auf einem Tablet.

Vorbereitet wurden die Filmarbeiten von neun „Sterntaler“-Kindern. Erst hatten sie gemeinsam mit Erzieherin Daniela Böhme drei Bücher gelesen und besprochen, dann per „Glitzerstein-Methode“ basisdemokratisch beschlossen, welches verfilmt werden soll: Jedes Kind durfte sein Juwel auf dem Favoriten-Werk platzieren. Die Entscheidung fiel für „Frederick“, den Kinderbuchklassiker von Leo Lionni.

Als Nächstes wird die passende Verkleidung vorbereitet: Die Kinder schneiden erst die Mäuseohren aus Pappe heraus, die werden dann an einen Kopfreif getackert. Fehlen nur noch Requisiten, die ebenfalls mit Schere und Papier fabriziert werden – Nüsse und Weizenähren als Mäusefutter. Dann stellen die Kinder noch aus gelbem Tonpapier eine Sonne her, samt vieler Strahlen, die angeklebt werden. Erst nach diesen Vorbereitungen, „die auch schon einmal ein paar Tage dauern können“, wie Daniela Böhme erzählt, kann mit dem eigentlichen Dreh begonnen werden. Mit dem Tablet gehts los: Film ab!

Schon Fünfjährige vermögen ja heute mit diesen Geräten kurze Filmchen zu drehen. Medien hingegen aktiv in die Kitaerziehung einzubinden, ist trotzdem noch längst nicht selbstverständlich. Insbesondere auf dem Land, zum Beispiel hier in Dithmarschen, wie Daniela Böhme erzählt. Die Mäusefilm-Regisseurin hat lange nach Möglichkeiten für die Weiterbildung gesucht. Aber immer wieder waren Kurse im Umkreis ausgefallen – „mangels Nachfrage“. Schließlich konnte sie sich doch bei einem Kurs des Offenen Kanals einschreiben: eine Weiterbildung über fünf Wochen an jeweils einem Tag der Woche.

Medien sind Werkzeug und kein Spielzeug

Daniela Böhme

Anschließend konnte Daniela Böhme gleich so richtig loslegen: Beim Fasching zum Thema „Märchen“ drehten alle Gruppen in der Kita einen eigenen Minifilm. Das geschah in bunter Vielfalt: mit Stockpuppen, als Stop-Motion mit Playmobilfiguren oder mit „richtigen“ Schauspielern und Verkleidung. Nicht nur Kinder, Erzieherinnen und Eltern waren begeistert vom kreativen Medieneinsatz. Die „Sterntaler“ gewannen mit ihren kleinen Werken sogar den Medienkompetenzpreis des Landes Schleswig-Holstein, dotiert mit 2.000 Euro: „So konnten wir Tablets für alle fünf Gruppen finanzieren.“ So eines, wie es Sophia (5) gerade stolz in den Händen hält. Ihr Ausweis am bunten Bändchen weist sie als Kitareporterin aus: Jeden Tag halten Zweierteams das Alltagsleben in der Kita fest. „Darf ich ein Foto machen?“, sagt sie. Lektion gelernt: Jeder hat sein Recht am eigenen Bild und darf „Nein“ sagen. Und daran muss man sich auch halten! Vor Kurzem haben Kitareporter sogar einen Skandal recherchiert und aufgedeckt. Erzählt Liam (5), vorhin noch in der Hauptrolle des Frederick, inzwischen schon auf Pirat geschminkt: „Da hat Petra aus Spaß den Joghurt versteckt. Und Frau Martens hat sich gewundert, wo der war.“ Erst dachten alle, ein Dieb sei unterwegs. Aber dann war es nur ein Schabernack.

Daniela Böhme hat ihre Kolleginnen inzwischen mit ihrem Medienfieber angesteckt, erzählt sie erfreut. Doch das Beispiel zeigt auch: Dreizehn Jahre nach Erfindung des Smartphones ist digitale Medienerziehung oft noch abhängig von persönlichem Engagement. „Dabei bestimmen diese Medien den Alltag der meisten Kinder. Und das können wir als Erzieherinnen doch nicht einfach ignorieren“, sagt Daniela Böhme. Sie ist überzeugt: „Medienerziehung gehört zu unserem Job dazu. Das steht übrigens auch in unseren Bildungsleitlinien.“ Ihr persönlich sei es sehr wichtig, den Kindern „einen gesunden Umgang mit Medien zu vermitteln. Wir erzielen da gute Ergebnisse, finde ich – und es macht natürlich auch uns Erzieherinnen viel Spaß!“

Die Medien lassen sich vielfältig und unterstützend einsetzen, erzählt Daniela Böhme: „Sprachförderung ist so ein Feld: zum Beispiel, wenn die Kinder die Geschichte des Frederick frei nacherzählen.“ Oder zur Wissensaneignung: „Wenn wir mit den Tablets SlowMotion-Clips machen: Die Kinder suchen sich Bewegungen aus, die sie gerne ganz genau sehen möchten. Da haben wir zum Beispiel mal den Hund einer Mitarbeiterin beim Laufen auf dem Kitahof gefilmt. Das hatten die Kinder sich gewünscht.“ Neu hinzugekommen ins Medienarsenal ist der „Bee Bot“, ein kleiner Roboter in Form einer Biene, dessen Bewegungen sich kinderleicht programmieren lassen.

Die Kinder finden die Impulse der neuen Medienerziehung natürlich super. Die meisten Eltern auch. Ein paar allerdings hatten Bedenken: „In der Kita ist kein Platz für Medien, haben die gesagt.“ Doch diese Eltern hatten zunächst völlig falsche Vorstellungen von der Medienarbeit, erzählt Daniela Böhme: „Die dachten, wir laden die Kinder einfach vor den Bildschirmen ab.“ Dabei würde pro Kind und Woche vielleicht gerade mal eine Viertelstunde „iPadzeit“ zusammenkommen, rechnet sie in Gedanken aus: „Unser Motto ist ja ganz klar: Medien sind Werkzeug, nicht Spielzeug.“

Diese Einstellung kommt bei den meisten Eltern an. So auch bei Inken Mohr, die sich freut, dass ihr Sohn Mattis – eines der Mäusekinder – gezeigt bekommt, „wie man mit den Geräten auch aktiv etwas selbst produzieren kann. Mattis macht da gut und gerne mit. Natürlich finde ich das positiv.“

Später wird der Mäuse-Film aufgeführt, alle Kinder sitzen zunächst (fast) mucksmäuschenstill. Die Premiere verläuft dann sehr positiv, erhält donnernden Applaus. Insbesondere Liams Verbeugung mit anschließendem Ohrenverlust wird mit ausschweifendem Gelächter quittiert. Vier Mal schauen die Kinder sich den Film an und fordern ein fünftes Mal. Doch jetzt ist „Aus die Maus“, die Erzieherin zieht den Stecker.

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