Spielraum für Engagierte
Wie verbindlich ist Medienbildung an Schulen in Hamburg und Schleswig-Holstein? scout sprach dazu mit den beiden Medienpädagogik-Professoren Rudolf Kammerl (Universität Hamburg) und Christian Filk (Europa-Universität Flensburg).
„Medienbildung sollte für die Schulen der Hansestadt verbindlich sein. Doch wer genauer hinschaut, entdeckt nur einen Flickenteppich von Aktivitäten. Medienbildung bleibt dem Engagement einzelner Lehrer überlassen.“ So schrieben wir vor ziemlich genau vier Jahren in der ersten scout-Ausgabe. Hat sich da etwas geändert?
Rudolf Kammerl: Die Aktivitäten in den unterschiedlichen Schulen Hamburgs sind nach wie vor sehr heterogen. Das geht von Fehlanzeige bis hin zu Medienprofilen. Das Engagement der Lehrer, insbesondere der Schulleitungen, spielt auch aktuell noch eine große Rolle.
Christian Filk: In Schleswig-Holstein sieht es ähnlich aus. Hier gibt es einige Schulen, die sich schon vor über einem Jahrzehnt mit hohem Engagement und nicht selten gegen den Widerstand der Schulverwaltung auf den Weg gemacht haben. Diese Schulen haben ausgearbeitete Konzepte, eine gute technische Ausstattung, mitunter veränderte Zeitstrukturen oder Curricula. Da haben in jedem Fall umfassende Schulentwicklungsprozesse stattgefunden – und oft werden sie von einzelnen Lehrern vorangetrieben. Wenn diese die Unterstützung der Schulleitung und weiterer Kolleginnen und Kollegen haben, gelingen diese Prozesse auch. Doch es finden sich auch Schulen, die von alldem nichts haben.
Das Engagement der Lehrer, insbesondere der Schulleitungen, spielt auch aktuell noch eine große Rolle.
Wie gut ist Medienbildung heute wirklich in den Schulen verankert? Gibt es verpflichtende Medienbildung in Schule und Unterricht?
Filk: In Schleswig-Holstein gibt es mit Blick auf die gesetzliche Grundlage keine solche Verpflichtung in den Schulen. Die Lehrpläne bieten aber, wenn Einzelne die Medienbildung vorantreiben wollen, viele Spielräume. Einige neu formulierte Fachanforderungen erwähnen die Medienbildung sehr wohl – im alltäglichen Unterricht erzeugt dies aber keine breitenwirksame Verbindlichkeit.
Kammerl: Die Lage an den Hamburger Schulen hat sich allerdings verändert. Mit der Einführung des Medienpasses als verpflichtendes Angebot an Schulen sind in den Klassenstufen 5 bis 8 fünf Pflichtmodule mit je drei Doppelstunden vorgeschrieben. Die „Papierlage“ hat sich damit deutlich verbessert. Aktuell findet das aber noch lange nicht an allen Schulen statt. Werden zukünftige Lehrkräfte heute ausreichend ausgebildet? Welcher Umfang wird diesem Thema während des Studiums eingeräumt?
Filk: Bezogen auf die Lehrerausbildung sieht es in Schleswig-Holstein deutlich besser aus als in den Schulen selbst. Wir sind an der Europa-Universität Flensburg in der glücklichen Lage, bereits seit 2008 ein verpflichtendes Modul „Medien und Bildung“ anbieten zu können, das alle angehenden Lehrer in der ersten Phase des Studiums durchlaufen müssen. In Kiel gibt es ein obligatorisches Modul im Lehramtsstudium meines Wissens nicht, sondern ein Wahlpflichtmodul. Immerhin wurde die Medienbildung im Sinne einer Qualifizierung zur „Vermittlung von Medienkompetenz“ jüngst in dem neuen Lehrerbildungsgesetz für Schleswig-Holstein festgeschrieben.
Kammerl: In Hamburg ist es nach wie vor so, dass nur bis zu ein Drittel der Studierenden Lehrveranstaltungen besuchen kann, in denen sie medienpädagogische Kompetenzen entwickeln könnten. Aktuell wird diskutiert, den Anteil zugunsten anderer Themen wie Inklusion sogar noch zu senken.
Ist die Weiterbildung ausreichend?
Kammerl: Die Teilnahme an medienpädagogischen Lehrerfortbildungen hierzulande ist im internationalen Vergleich sehr gering und wird auch von den Schulleitungen zu wenig priorisiert. Solange es möglich ist, dem Thema ohne Konsequenzen aus dem Weg zu gehen, wird sich auch das Fortbildungsverhalten der Lehrer kaum ändern, auch wenn es gute Angebote gibt.
Filk: Auch hier gibt es keinen signifikanten Unterschied zwischen unseren Bundesländern. Wir erleben sogar einzelne Schulleitungen, die Fortbildung eher unterbinden, da dann ja gegebenenfalls Unterricht ausfällt. Dies hat also nicht nur individuelle Gründe, sondern ist auch strukturell bedingt, etwa in Bezug auf die Personaldecke oder den Verwaltungsaufwand, den die Genehmigungsverfahren machen.
Die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite muss sich gewahr werden, dass wir in einer digitalen Netzwerkgesellschaft leben.
Welche Formen der Qualitätskontrolle gibt es bei der Vermittlung von Medienkompetenz? Wissen wir überhaupt, wie „medienkompetent“ unsere Schüler sind?
Kammerl: Besonders erwähnenswert ist die internationale Vergleichsstudie „ICILS 2013“¹ zu computer- und informationsbezogenen Kompetenzen, da diese für Deutschland repräsentativ ist und Vergleiche mit anderen Staaten ermöglicht. Unter den teilnehmenden Ländern haben die deutschen Schüler zumindest eine gewisse Mittelmäßigkeit erreicht, die aber besonders stark von der sozialen Herkunft abhängt.
Filk: Ich finde, es sollte nicht nur darum gehen, die einzelne Schülerin, den einzelnen Schüler „medienkompetent zu machen“ und dies dann zu messen. Die Gesellschaft in ihrer ganzen Breite, Unternehmen, Organisationen und Institutionen, muss sich gewahr werden, dass wir in einer digitalen Netzwerkgesellschaft leben und in einem zunehmenden Maße leben werden. Diese Transformation können wir besser in Kollektiven gestalten, zum Beispiel wenn ein Kollegium gemeinsam die eigene Schule umgestaltet. Solche komplexen Prozesse sind kaum in Form von Kompetenzmessungen zu operationalisieren.
Gibt es denn zurzeit im Norden herausragende Projekte im Bereich Medienbildung?
Filk: In Schleswig-Holstein versuchen wir mit dem Projekt „MediaMatters!“2 das Engagement der aktiven Schulen zu bündeln und damit für andere Schulen sichtbar und nachahmbar zu machen. Wir werden vom Wissenschaftsministerium, der MA HSH und der Pressestiftung Flensburg darin gefördert, ein sich gegenseitig unterstützendes Netzwerk aufzubauen und wissenschaftlich zu begleiten. Erfreulicherweise hat auch das Schulministerium jüngst ein ähnliches Projekt aufgelegt: Im Rahmen von „Lernen in einer digitalen Gesellschaft“ können sich Schulen direkt um Fördermittel bewerben. Erfolgreich werden solche Projekte aber grundsätzlich nur dann sein, wenn es ihnen gelingt, nachhaltig und substanziell überkommene Strukturen zu verändern. Es reicht nicht, kurzfristig Geld ins System zu pumpen. Das zeigen alle Erfahrungen. Wir suchen daher die Kooperation von „MediaMatters!“ mit dem Vorhaben des Schulministeriums.
Kammerl: Das sind sehr interessante Aktionen, die ich mit Aufmerksamkeit verfolge. Ich wünsche dem Kollegen Filk da gute Erfolge!
Wenn sich Lehrkräfte besonders engagieren – wie wird es ihnen gedankt? Gibt es Funktionsstellen, ein Zeitbudget, zusätzliche Bezahlung?
Kammerl: Weder positive Verstärker noch negative Sanktionen sind hier vonseiten der Schuladministration besonders ausgebaut. Da sind andere Bundesländer wie Bayern oder Sachsen-Anhalt weiter. Dort gibt es auch Netzwerke medienpädagogischer Berater.
Filk: Das ist in Schleswig-Holstein genauso wie in Hamburg. Die engagierten Lehrer zahlen mit ihrer Lebenszeit und nicht selten mit ihrer Gesundheit. Gedankt wird ihnen das selten.
Dieses Interview ist in der scout-Ausgabe 1_2015 erschienen.
Prof. Dr. Rudolf Kammerl hat im Auftrag der Medienanstalt Hamburg / Schleswig-Holstein (MA HSH) untersucht, wie es um die Medienkompetenz steht in Hamburg und Schleswig-Holstein. Die Studie zum Download finden Sie hier.
Auf welchem Stand sich IT und Medienbildung in Schleswig-Holsteins Schulen befinden, hat auch das IQSH untersucht. Alle Daten und Fakten finden Sie hier. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt es hier.