scout-Interview mit Henning Fietze
"Das Schöne ist: Clevere Mediennutzung kann man trainieren."
scout: Herr Fietze, der OKSH ist ein wichtiger Förderer der Medienkompetenz in Schleswig-Holstein. Wieso ist das Thema Desinformationen für die Medienkompetenz von Eltern und Kindern wichtig?
Henning Fietze: Weil Desinformation so alltäglich und altersunabhängig ist. Tendenziöse Berichterstattung oder interessengeleitete Informationen im Netz sind einfach omnipräsent, schon bei Kindern: Auf Kinder-Websites, in Chats und auch bei den Eltern auf dem Handy. Das fängt ja lange vor Verschwörungstheorien an und wird viel zu oft darauf reduziert. Desinformationen gibt es in Wikipedia-Artikeln, sie tauchen in Suchmaschinen oder in Informations-Kampagnen großer Konzerne auf. Desinformationen sind ja nicht gleich Fake News. Desinformationen sind viel leichter verbreitet, schwerer zu ermitteln und sehr wirkungsvoll. Also ist es auch spannend, sich pädagogisch damit auseinanderzusetzen.
scout: Welche Rolle spielt das Thema bei den OKSH-Angeboten zur Medienkompetenzförderung?
Henning Fietze: Das Schöne ist: clevere Mediennutzung kann man trainieren. Zum Beispiel sprachen die Referent*innen im Projekt „ElternMedienLots*innen“ im Mai 2022 auch über die Berichterstattung zu dem Gerichtsprozess zwischen Johnny Depp und Amber Hurt. Beide Seiten und auch die Medien hatten das Thema stark aufgeladen mit schiefen, unvollständigen, spekulativen und wahrscheinlich auch falschen Informationen. So etwas ist ein aktuelles Thema. Das kann man auch am Abendbrottisch in der Familie besprechen. Da haben die Eltern nicht mehr Ahnung als die Kinder. Niemand kennt die Wahrheit, aber zusammen kann man gut überlegen: Wer hat eigentlich warum ein Interesse an welchem Newsfeed, an welchem Informationsfluss und wie machen die das, dass wir ein bestimmtes Bild von den beiden Personen haben?
Dann gibt es im OKSH das Projekt „Capture the News“, zusammen mit dem Landesjugendring. Das ist eine spannende Instagram- und Audio-Rallye. Jugendgruppen und Schulklassen filtern schnell und gezielt Infos, Desinformationen und Fake-News aus einem riesigen Newsfeed, den wir eigens dafür zusammenstellen. Das Projekt ist inzwischen mobil, sodass wir in Schulen oder Jugendzentren in ganz Schleswig-Holstein gemeinsam News filtern können. Und dann gibt es den Klassiker für Schüler*innen der fünften und sechsten Klassen: den „Schulmedientag“. Da geht es neuerdings auch um Pseudoexpert*innen, Dark Patterns und Lügenbots.
scout: Der OKSH ist daneben auch ein öffentlich zugänglicher Fernseh- und Radiosender. Welche Rolle spielt das Thema Desinformation in diesem Zusammenhang?
Henning Fietze: Ich würde gerne rufen: „Keine, natürlich!“. (lacht) Aber das wäre eine Fakenews. Wir senden 168 Stunden in der Woche, also 24/7. Und natürlich gibt es auch mal Berichte von Nutzer*innen, in denen eher die eigene Sicht als eine objektive Information dargestellt wird. Das ist dann nicht direkt Desinformation. Aber trotzdem muss gemäß journalistischer Grundsätze die eigene Meinung ganz deutlich von Nachrichten und objektiver Informationsvermittlung getrennt werden.
scout: Hat der Offene Kanal Möglichkeiten, Desinformationen zu verhindern? Gibt es Schulungen für journalistische Neulinge?
Henning Fietze: Beim OKSH darf jede und jeder alles senden. Das ist grundgesetzlich geregelt. Alles, was unter die Meinungsfreiheit fällt, darf man erzählen. Und leider oder zum Glück fällt auch Mumpitz, also Unsinn hinausposaunen, unter die Meinungsfreiheit. Solange der sich im Rahmen der grundgesetzlichen Vorgaben bewegt, ist das bei uns erlaubt. Journalistische Grundregeln soll man trotzdem beachten. Dafür bietet der Offene Kanal ein Seminarprogramm an, vor Ort in Heide, Lübeck, Flensburg, Kiel - und inzwischen auch online. Denn „on air“ zu sein ist ja schon eine sehr große Verantwortung. Aber wenn man die eigene Meinung als solche kennzeichnet, dann darf man sie senden, wenn sie legal ist. Man muss nur dafür geradestehen, wenn sich dann Menschen drüber beschweren. Denn bei uns ist ja jede und jeder selbst verantwortlich für ihre oder seine Beiträge.
scout: Der OKSH ist nicht nur on air, sondern auch online. Welche Rolle spielt das Thema Desinformation bei Ihren Online-Angeboten?
Henning Fietze: Unsere Angebote zur Medienbildung beziehen sich sehr stark auf Social Media und Online-Content. Bei der Online-Verbreitung unserer Fernseh- und Hörfunkprogramme ist das Feedback der Zuschauer*innen und Hörer*innen stärker als beim traditionellen Fernsehen oder Radio . Wer über unsere App „Bürger Senden“ zuhört oder zusieht, der hat ja ohnehin das Handy in der Hand und kann uns auch mal schnell schreiben. Das wird zum Glück nicht für Spam oder einen Shitstorm genutzt, wenn mal ein Musiktitel läuft oder eine Meinung erzählt wird, die nicht jedem passt, sondern erfüllt eher eine Kontrollfunktion. Die Qualität unseres Programms steigt dadurch, dass die Zuschauer*innen und Hörer*innen selbst ganz schnell ins Studio zurückposten können, zum Beispiel: „Was war das denn?“ oder „Darüber möchte ich aber mal diskutieren!“.
scout: Gab es denn mal einen Desinformationsfall? Und wie sind Sie damit umgegangen?
Henning Fietze: Wir hören und sehen unseren Sendern ja täglich und ständig zu und protokollieren 24/7. Dazu sind wir verpflichtet. Und da sitzt auch tatsächlich tagsüber jemand und hört und sieht aktiv zu. Dabei haben wir bisher keine solchen Auffälligkeiten festgestellt. Im letzten Jahr haben sich insgesamt drei Zuhörer*innen an uns gewandt und sich nach der Moderation einer bestimmten Sendung erkundigt. Da ging es um die vorhin schon erwähnte Nichtkennzeichnung einer sehr ausgeprägten eigenen Meinung. Wir haben dann mit dem sendeverantwortlichen Bürger gesprochen. Er hat eingesehen, dass er deutlicher machen muss, wenn es um seine eigene Meinung geht, und er nicht so tun kann, als sei das aus einem News-Ticker übernommen. Und man kann sagen, seine Sendungen sind weiter empfehlens- und hörenswert.
scout: Viele Eltern werden im privaten oder beruflichen Bereich mal von der einen oder anderen Desinformation geleimt. Ist Ihnen das auch schon mal passiert? Und was würden Sie Eltern raten, wie man damit umgehen sollte?
Henning Fietze: Ja, natürlich ist mir das schon passiert. Ich glaube, fast jedem von uns. Desinformationskampagnen laufen viel untergründiger und sehr häufig unbemerkt, bis sie ihre Wirkung entfalten. Dort, wo beunruhigende Krisen oder Kriege verunsichern, da wimmelt es einfach nur so von interessegeleiteten Fehlinformationen. Ich versuche, mich durch einen breiten Nachrichten- und Kommentar-Mix und auch durch den Austausch mit möglichst vielen unterschiedlichen Menschen abzusichern, um aus der eigenen Filterblase rauszukommen. Jede und jeder ist ja in mehreren Echoräumen gleichzeitig. Es ist wichtig, aus ihnen rauszugehen und mit anderen zu sprechen, auch mit solchen, deren Meinung man vielleicht gar nicht teilt. Das kann man Eltern und natürlich auch Kindern nur empfehlen.
Und Eltern sollten ihre Kinder dazu ermutigen, zu überlegen und Aussagen auch einmal in Zweifel zu ziehen. Zum Beispiel, wenn man gemeinsam Nachrichten sieht oder auf das Handy guckt. Oder wenn man bestimmten TikTok Influenzer*innen folgt, die ja auch häufig ein inhaltliches Interesse haben. Das ist nicht immer nur Werbung. Die wollen auch Inhalte vermitteln. Und manchmal wollen sie auch gerne ein schiefes Bild erzeugen. Das kann man gemeinsam hinterfragen. Und gemeinsam darüber kichern, wie anstrengend das für TikToker und Influenzer*innen sein muss, uns in die falsche Richtung zu locken. Auch ich habe schon mal am 1. April ganz entsetzt vor einer Eisdiele gestanden, weil ich dachte, dass es da tatsächlich kostenlose Leckereien gibt. War aber eine echte Desinformation.
scout: Vielen Dank, Herr Fietze.