Zu Besuch bei Peers in Allermöhe
Jugendliche, die in unteren Stufen den Umgang mit Sozialen Medien oder Computerspielen „unterrichten“, erzielen tolle Erfolge. Solche „Peer-Projekte“ sind jedoch immer noch selten zu finden. Warum beides so ist wie es ist, hat Lehrerin Kirsten Böttcher-Speckels vom Hamburger Gymnasium Allermöhe in den vergangenen Jahren herausgefunden.
Schüler unterrichten Schüler
Lara und Nicole schauen sich etwas zögernd an, als sie nach ihren ersten praktischen Erfahrungen als MedienScouts gefragt werden. „Das hatte ich mir etwas einfacher vorgestellt“, gesteht Lara. Die fünfte Klasse, in der die beiden eine Unterrichts-Doppelstunde abgehalten hatten, sei teilweise doch etwas laut gewesen, erinnert sich Nicole. Und, wollt ihr trotzdem weitermachen? „Ja, klar!“, sagen beide Achtklässlerinnen begeistert.
„Die Ausbildung eines Gymnasiallehrers dauert über 6 Jahre, die der Medienscouts am Gymnasium Allermöhe umfasst ca. 25 Stunden. Da ist es anfangs schon etwas schwierig, eine 5. Klasse mit 26 Schülern in den Griff zu bekommen“, sagt Kirsten Böttcher-Speckels, die als Lehrkraft die MedienScouts des Hamburger Gymnasiums Allermöhe betreut. Lara und Nicole hätten das für das erste Mal schon richtig gut gemacht. Bei jedem Workshop, den die Scouts geben, sammeln sie mehr Erfahrungen, vor allem im Umgang mit jüngeren Schülern. Zustimmung bekommt sie von Lasse und Lukas. Auch die Jungs besuchen die achte Klasse und sind frisch gebackene MedienScouts. Ihr eigener Einsatz war deutlich entspannter, und jetzt freuen sie sich auf den ersten Besuch einer benachbarten Grundschule.
Peer-Vorreiter in Hamburg
Das im Fachjargon „Peer-to-Peer“ genannte MedienScouts-Projekt der Schule ist so erfolgreich, dass auch benachbarte Schulen die jungen Medien-Experten buchen. Denn am Gymnasium Allermöhe gibt es mittlerweile eine eigene Schülerfirma. „So können wir unser Wissen auch anderen Schulen, die keine eigenen MedienScouts haben, zur Verfügung stellen“, so Kirsten Böttcher-Speckels.
Das Gymnasium Allermöhe, an dem Lara, Nicole, Lasse und Lukas kürzlich zu MedienScouts ausgebildet wurden, gehört zu den Peer-Pionieren in Hamburg. 2011, als die Hansestadt mit einem Pilotprojekt startete, war die Schule dabei. Kirsten Böttcher-Speckels ist von Beginn an als Lehrkraft dafür verantwortlich und managt Ausbildung und Einsatzpläne der Schüler. Der erste Jahrgang, der damals bei den MedienScouts mitmachte, hat bereits letztes Jahr Abitur gemacht. „Die meisten Scouts sind bis wenige Monate vor den Prüfungen dabei geblieben“, so die medienaffine Lehrerin, die Biologie, Erdkunde, Nawi und Mathe unterrichtet.
MedienScouts werden zentral gefördert
Hamburger Schulen erhalten bei Peer-Projekten im Bereich Medienkompetenz eine zentrale Unterstützung durch die Bildungsbehörde. Das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung, kurz LI, kümmert sich seit 2011 um die Projekte. Pro Jahr nehmen rund zehn Hamburger Schulen das Angebot wahr. Dieses umfasst die Ausbildung der Schüler, die an einem Wochenende mit Unterrichtsmethoden und -materialien vertraut gemacht werden. Und: „Pro Schule müssen heute zudem zwei Lehrer an unseren Fortbildungen teilnehmen“, so Helge Tiedemann, am LI verantwortlich für die MedienScouts-Ausbildung. „Wir wollen sicherstellen, dass die MedienScouts betreut werden, wenn es mal eine Elternzeit oder eine Krankheit gibt oder die Lehrkraft die Schule verlässt“, so Tiedemann. Die Schulen müssen zudem zusichern, dass die Lehrkräfte einen Teil Ihrer Arbeitszeit für das Projekt angerechnet bekommen.
Aus Erfahrungen gelernt
Die „Zwei-Lehrkräfte-Regel“ ist ein Resultat der Erfahrungen mit den ersten MedienScout-Schulen in Hamburg. „Von den acht Schulen, die im ersten Jahrgang mit dem Peer-Projekt begonnen haben, sind nur noch wir übrig“, konstatiert Kirsten Böttcher-Speckels. Sie unterstützt die Vorgabe des Landesinstituts. Allerdings: An allen drei anderen Schulen, mit denen sich das Gymnasium Allermöhe mittlerweile zwecks Austausch und Weiterentwicklung des Peer-Projekts zusammengeschlossen hat, hängt das Projekt von einer einzelnen Lehrkraft ab.
Ein weiterer Grund, warum Schulen das MedienScout-Projekt zwischenzeitlich wieder aufgegeben haben, ist die bisher fehlende fundierte Ausbildung neuer Scouts an den bestehenden MedienScout-Schulen. „Wir müssen regelmäßig neue Scouts ausbilden, damit unserer Projekt nachhaltig bestehen kann“, sagt Kirsten Böttcher-Speckels. Wichtig sei, dass diese fundierte Ausbildung von Medienprofis gemacht werde, da die Inhalte komplex und schnelllebig seien. Doch dies koste Geld, welches die Schulen allein nicht aufbringen könnten.
Peer-Kooperation unter Schulen
Daher hat das Gymnasium Allermöhe eine Kooperation mit Hamburger Schulen begonnen, dem Charlotte-Paulsen-Gymnasium, dem Gymnasium Buckhorn und der Sophie-Barat-Schule. Die Schulen wollen unter anderem ihre neuen Scouts gemeinsam ausbilden. Bislang hatte eine Förderung durch die MA HSH die MedienScouts unterstützt. „Da die Förderung nun ausläuft, suchen wir dringend neue Sponsoren“, so Kirsten Böttcher-Speckels, und ergänzt: „Helfen würde uns auch ein nachhaltiges Konzept vom LI. Ein erster Schritt war dieses Jahr eine eintägige Ausbildungsveranstaltung für bereits bestehende MedienScout-Schulen, zu der wir neue MedienScouts schicken konnten.“ Die Lehrerin hofft, dass dies in den nächsten Jahren fester Bestandteil des MedienScout-Projekts des LI werden wird.
Positive Scout-Erlebnisse im Unterricht
14 Schüler sind am Gymnasium Allermöhe als MedienScouts in den Klassen unterwegs. Einmal in der Woche treffen sie sich in ihrem eigenen Raum, den sie selbst eingerichtet haben und der neben Tisch und Sofa auch über ein interaktives Whiteboard verfügt. Hier werden die Einsätze und offenen Punkte besprochen. Auch die Weiterentwicklung der Unterrichtsmodule ist immer wieder ein Thema, da die Entwicklungen im Bereich des Webs rasant sind. Die MedienScouts bieten drei große Themenkomplexe an: Soziale Medien, Games und Handys.
„Unsere Schüler sollen einen gesunden Umgang mit Medien lernen“, sagt Kirsten Böttcher-Speckels über die Ziele des Peer-Projekts. Der geringe Altersunterschied zwischen den Beteiligten sorge bei den Scout-Einsätzen für eine hohe Aufmerksamkeit und Akzeptanz. Zwar müssen sich die MedienScouts intensiv mit den Themen beschäftigen, die sie vermitteln, doch „für die jüngeren Schüler zählen vor allem die Erfahrungen der Älteren“, hat die Lehrerin in den vergangenen Jahren gelernt. Die Scouts selbst erhalten für ihr Engagement eine Menge Akzeptanz und steigern ihr Selbstbewusstsein. Denn eine ganze Doppelstunde andere Schüler zu beschäftigen, zu motivieren und mit komplexen Inhalten vertraut zu machen, ist keine leichte Aufgabe. Das bestätigen auch Lara, Nicole, Lasse und Lukas nach ihren ersten Einsätzen, sagen aber einhellig: „MedienScout zu sein macht richtig Spaß“.
Projektinfos:
2011 hat das Gymnasium Allermöhe am ersten MedienScout-Projekt des Hamburger Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung teilgenommen. Seitdem bildet das Gymnasium Allermöhe kontinuierlich neue MedienScouts aus. Derzeit sind es 14 Schülerinnen und Schüler der Mittel- und Oberstufe, die als MedienScouts verschiedene Workshops für die Klassen 5 und 6, aber auch für die Klasse 4 benachbarter Grundschulen anbieten. Ihre Arbeit ist dabei eng mit dem „Hamburger Medienpass“ verknüpft, der die Vermittlung medienbezogener Inhalte an weiterführenden Schulen regelt. Die MedienScouts in Allermöhe wurden in den vergangenen vier Jahren durch die Medienanstalt Hamburg/Schleswig-Holstein gefördert. Das Gymnasium Allermöhe kooperiert in Hamburg zudem mit dem Charlotte-Paulsen-Gymnasium, dem Gymnasium Buckhorn und der Sophie-Barat-Schule, um das Peer-Projekt weiterzuentwickeln und Erfahrungen weiterzugeben.
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- Teil 2: Das sollten Sie wissen. Antworten zu den wichtigsten Fragen rund um Peer-Projekte.
- Teil 3: Prof. Dr. Olivier Steiner untersuchte in der Schweiz sieben Peer-Konzepte. Im scout-Interview berichtet er über die Ergebnisse.
- Teil 4: Im Interview erläutert Britta Ernst (SPD), Ministerin für Schule und Berufsbildung des Landes Schleswig-Holstein, die besondere Rolle des Themas „Digitales Lernen“ und warum sie Peer-Projekte dabei für wichtig hält.