Reportage - Informatik für Kinder

"Man muss das nur verstehen, dann ist das ganz leicht!"

Alle zwei Wochen treffen sich Schülerinnen ab der 4. Klasse zum "Mädchen Digital Club". Im Workshop lernen Kinder, was Informatik ist und wie Coden geht. Heute programmieren sie einen "Pflanzenpflegecomputer".


Foto: Achim Multhaupt

Florina und Tilda, elf und neun Jahre alt, wissen natürlich schon längst, dass man mit Essen nicht spielt. Aber dass man mit Bananen programmieren kann – das lernen sie erst gerade jetzt. Sie sitzen gemeinsam an einem Tisch in der „Zukunftswerkstatt“ des Google-Standorts Hamburg, haben ein kleines, schickes Notebook vor sich stehen und sind gerade dabei, eine sternförmige Platine per Kabel mit der Frucht zu verbinden. Das schillernde kleine Ding, gerade mal so groß wie ein Smartphone, ist der Minicomputer „Calliope Mini“, mit dem schon junge Einsteiger im Grundschulalter das Programmieren lernen können.

Auf dem Monitor des Laptops haben die Mädchen den „Editor“ geöffnet, die dazu passende Befehlsoberfläche. Darauf können sie einzelne Programmierbefehle einfach anwählen und miteinander kombinieren. Auf den ersten Blick ist es ein Gewimmel von Farben, Formen und Wörtern. „Man muss das nur verstehen, dann ist das ganz leicht“, sagt Florina und nickt ernst. Derweil lassen die beiden die Finger über das Trackpad fliegen, flanschen die laut Arbeitsblatt benötigten Programmier-Module per Drag and Drop aneinander, verkabeln dann den Minicomputer laut Arbeitsblatt „mit einem leitenden Objekt“ – in diesem Fall also mit der Banane. Und gerade kommt Tonja Kochanek vorbei, die den zweiwöchig stattfindenden „Mädchen Digital Club“ heute leitet und mit 16 Schülerinnen von neun bis vierzehn Jahren die „Pflanzenpflegestation“ programmiert.

Foto: Achim Multhaupt

Sie erklärt den beiden, dass Strom durch die Banane fließt, wenn Feuchtigkeit darin ist. Weil nicht destilliertes Wasser nämlich Strom leitet. Ist kein Wasser vorhanden, fließt auch kein Strom. Mit diesem Messgerät lässt sich auch der Feuchtigkeitsgehalt von Blumenerde überprüfen, erzählt Tonja. Wenn kein Strom mehr fließt, geht es der Primel schlecht. Der Calliope ist kein vollwertiger Computer, sondern ein „Micro-Crontoller“, der eine Reihe vorbestimmter Funktionen abzuspulen vermag – wie ein Tier, dem man ein paar Kunststücke beibringt. Er ist so groß wie eine Handfläche und sternförmig, besitzt ein Mini-Display aus 25 LEDs, einen Lage- und Beschleunigungssensor und Anschlüsse für Lautsprecher oder ein Mikrofon, dazu berührungssensible Sensoren.

Tilda und Florina kennen ihren Calliope schon richtig gut. Sie sind bereits zum dritten Mal im Club, den es seit Anfang Mai 2018 gibt. Das reicht offenbar schon, um Nachwuchs-Programmiererinnen zu werden. „Anfangs hatte ich ein bisschen Angst, weil ja auch Größere da sind. Jetzt macht es mir aber einfach nur Spaß“, sagt Tilda,während Florina weiter das Trackpad traktiert. Irgendetwas funktioniert nicht beim Überspielen vom Laptop auf den Mini-Computer: „Tonja!“ Die eilt zur Hilfe und findet das Problem. Ach klar, Florina nickt, ein Server-Fehler! Noch mal neu öffnen. Dann wieder rüberspielen auf den Calliope. Und schon funktioniert es.

Foto: Achim Multhaupt

Tonja Kochanek (26) arbeitet bei App Camps, einem privaten Hamburger Digital-Bildungsträger, der 2014 gegründet wurde. App Camps bringt Kindern Programmieren bei, und das bereits ab der Grundschule, erzählt Tonja: „Die Welt wird von Codes gesteuert: Es ist gut, wenn Kinder das verstehen. Wir möchten deshalb erreichen, dass möglichst jedes Kind einmal im Leben das Programmieren ausprobieren kann – sie müssen dann ja nicht alle selbst Programmierer werden!“

Die Kinder haben dabei viel weniger Vorbehalte als manche Eltern: „Je jünger die Kinder sind, umso weniger Hemmungen oder Befürchtungen haben sie in Bezug aufs Programmieren. Sie gehen offen daran, intuitiv, spielerisch. Manche brauchen ein bisschen länger als andere. Aber das liegt oft daran, dass sie andere Sachen ausprobieren. Die schnelleren Kinder arbeiten meist nur ihre Aufgaben Schritt für Schritt ab.“

Tildas Mutter – die im Vorraum sitzt und selbst am mitgebrachten Laptop arbeitet – sagt: „Meine Tochter ist an naturwissenschaftlichen Themen interessiert, sonst wären wir auch nicht hergekommen.“ Sie sei selbst beruflich im digitalen Marketing tätig, erzählt sie: „Ich glaube, dass ein Verständnis über die Art, wie Computer funktionieren, eine Kernkompetenz der Zukunft sein wird. Dass man da gar nicht früh genug mit anfangen kann. Wir leben schließlich in einer immer digitaler werdenden Welt. Da sollte man Kindern doch die Chance geben, die Geräte, die sie umgeben, auch einmal zu durchschauen.“

Tildas Mutter findet auch, dass insbesondere Mädchen gefördert werden müssen – denn Jungen kommen in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik) oft nur deshalb besser voran, weil das den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht. Mädchen trauen sich da meist weniger zu. Und das gilt insbesondere für das Programmieren.

Foto: Achim Multhaupt

Angeschoben wurde das Calliope-Projekt übrigens von der ehemaligen Internetbotschafterin der Bundesregierung Gesche Joost: um allen Schülerinnen und Schülern ab der 3. Klasse spielerisch Hintergrundwissen über die digitale Welt zu vermitteln. Vom Ziel, alle Schüler mit dem Gerät auszustatten, ist man allerdings noch weit entfernt. Es gibt aber inzwischen in allen Bundesländern Projektpartner, die mit der Initiative zusammenarbeiten.

In Hamburg wurde ein Calliope-Pilotprojekt über die Körber Stiftung angestoßen. Vergangenes Jahr standen insgesamt zwanzig Klassensätze des Geräts zur Verfügung, um die sich Grund-, Stadtteilschulen und Gymnasien bewerben konnten. Dazu gab es ausführliche Unterrichtsmaterialien und Schulungen für Lehrkräfte, die von App Camps übernommen wurden. Julia André ist bei der Stiftung für das Projekt zuständig: „Die Kinder haben das total begeistert angenommen.“ Eine Klasse konnte einen Calliope-Termin wegen eines schon länger geplanten Ausflugs ins Miniatur-Wunderland nicht antreten, erinnert sie sich: „Die haben sich darüber beschwert – ich verstehe das mal als Ritterschlag für Calliope!“ Und auch die Lehrer zeigten großes Interesse, es meldeten sich schnell fast 70 Lehrerinnen und Lehrer. Daraufhin wurde die Zahl der Schulen, die teilnehmen konnten, auf zwanzig verdoppelt. Julia André: „Projekte wie Calliope ermöglichen Kindern und Jugendlichen einen spielerischen Einstieg in den Umgang mit Hard- und Software. Selber etwas zu programmieren schult das logische Denken und hilft zu verstehen, wie digitale Anwendungen funktionieren. Mit einem groben Verständnis der informatischen Denkweise fällt es außerdem leichter, grundlegende Zusammenhänge der digitalen Welt zu erkennen.“

Tilda und Florina muss man gar nicht fragen, ob ihnen das Eintauchen in die Welt des Programmierens Spaß macht – die Antwort ist offensichtlich. Sie kannten sich vorher gar nicht, jetzt sind sie ein eingeschworenes Programmierteam, eines von acht am heutigen Tag. Tilda sagt: „Man kann doch gar nicht genug wissen.“ Die Mädchen stehen derweil vor dem Kühlschrank. Nicht, weil sie sich noch eine süße Bio-Limo herausziehen wollen, sondern um diesmal zu prüfen, ob der Calliope-Temperaturmesser funktioniert.


Dieser Artikel stammt aus dem scout-Heft 2/2018: "Wir programmieren!"

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