Lehrkräfte im Porträt

Gut gelungen!

Wie klappt gute Medienbildung in der Schule?
Drei Gesichter. Drei Ansätze. Drei Mal vorbildliches Engagement.


Von Steuermännern im WWW-Weltenmeer

Vier Schüler der 3. Klasse in der Adolph-Schönfelder-Schule im Hamburger Stadtteil Dulsberg lernen auf www.internet-abc.de von „Tasten und Mäusen“. Mit der Maus kann man die Seiten im Internet „runterspulen“ und „Hiiieperlinks“ anklicken. Die Schüler klicken sich durch lustige Lehraufgaben, zur Belohnung werden sie zum „Steuermann im WWW-Weltenmeer“ ernannt. Als ein kleiner Film eingespielt werden soll, erscheint eine Fehlermeldung. „Das muss Frau Spatz reparieren!“, ruft eine Schülerin.

Claudia Spatz ist die „Medienverantwortliche“ der Grundschule: „Medienverantwortlich heißt, dass ich lose Kabel wieder zusammenstecken muss“, sagt sie und muss lachen. Es heißt natürlich noch viel mehr. Und um das zu verstehen, muss man sich zehn Jahre zurückversetzen. An der Schule gab es zu diesem Zeitpunkt einen Hausmeister mit einem Faible für Informatik. Und einen weiteren männlichen Kollegen, der sich ganz ordentlich mit Rechnern auskannte.

Neue Medien bestimmen unseren Alltag, das ist bei mir so und noch viel mehr bei unseren Schülern.

Claudia Spatz, Adolph-Schönfelder-Schule, Hamburg

Aber es gab keine Computer. Das fand sie, als eine der jüngsten Lehrkräfte im Kollegium, doch sehr seltsam: Alle reden vom digitalen Zeitalter. Nur die Grundschule ist medienfrei. Frau Spatz stiftete den Kollegen und den Hausmeister dazu an, gemeinsam Hardware zusammenzusuchen und ein Schulnetz aufzubauen. Die Medienbildung hielt Einzug – „und ich bin da als Verantwortliche reingerutscht, weil es kein anderer gemacht hat“. 2006 ging sie in Elternzeit: „Da war dann erst mal keiner mehr, der sich richtig kümmern wollte.“

Drei Jahre später startete sie einen neuen Anlauf. Sie nahm den Medienentwicklungsplan unter ihre Fittiche, den jede Grundschule vorlegen musste, um Whiteboards zu bekommen. Es war nun nicht mehr so schwierig, die Kollegen ins Boot zu holen. Die nachrückenden Lehrkräfte waren mit Internet und Co. aufgewachsen und die älteren inzwischen sehr interessiert. Anfangs suchte Claudia Spatz das Lehrmaterial noch aus vielen verschiedenen Quellen zusammen. Als sie dann vor zwei Jahren vom Projekt „Internet-ABC-Schule Hamburg“ hörte, war sie gleich mit dabei: „Wir haben einen einjährigen Testlauf gemacht, und das Material hat uns sehr gut gefallen.“ Heute ist das Internet-ABC fester Stoff der Drittklässler in einer Computer-Stunde pro Woche. Die Kleineren lernen wie bisher mit eigens erstellten Arbeitsmappen.

Lohnt sich der Einsatz? Anfangs bekam sie für ihre Funktion als Medienverantwortliche pro Woche eine halbe Stunde „Entlastung“, heute sogar mehr. Claudia Spatz sagt: „Neue Medien bestimmen unseren Alltag, das ist bei mir so und noch viel mehr bei unseren Schülern. Ich möchte, dass ihnen der Umgang sachgerecht und sicher gelingt.“

Nachgefragt

Selfie: Claudia Spatz mit zwei Schülern
Selfie: Claudia Spatz mit Schülern der 3. Klasse

Was läuft gut? Das Kollegium und die Eltern ziehen mit. Aber viel wichtiger ist: Auch die Schüler finden den Unterricht gut.

Was nervt? Der Ärger mit Hard- und Software. Die Geräte veralten schneller, als wir neue Gelder bewilligt bekommen.

Was ist wichtig? Am Ball bleiben! Und dass der Unterricht verbindlich auf die Stundentafel kommt.

Was kommt? Möglichst viel Fortbildung bei allen Kollegen.


Was machen die Sims im Unterricht?

In zwei Stunden möchte ich von jedem Tisch eine Präsentation des Flyers sehen“, fordert Sibel Baran, Lehrerin an der Stadtteilschule Wilhelmsburg. „Arbeitet in Zweiergruppen, mit jeweils einem Laptop.“

Die Klasse 8d hat vier Stunden pro Woche „Smart-Gaming“-Unterricht, und das für die Dauer von drei Jahren im Rahmen des gleichnamigen Unterrichtsprofils. Während der diesjährigen Projektwoche, die gerade stattfindet, sollen die Schüler in einer Schulwoche den Weg eines Computerspiels von der Idee bis zum Kauf nachvollziehen. Sie werden Spieleentwickler einer großen Games-Firma besuchen, auch eine Werbe- und Vertriebsagentur. Sie werden sich die Fertigung einer CD anschauen und zu guter Letzt einen Technik-Grossisten besuchen, der das fertige Produkt verkauft. Das Projekt heißt: „Zooming: Die Computerspiel CD“.

„Das Computerspiel“ würde vielleicht ein wenig zu sehr nach „daddeln“ klingen. Lehrerin Baran sagt: „Die Kollegen sind aufgeschlossen, aber ich muss trotzdem aufpassen, dass in meinen Unterlagen nicht zu oft ‚Gaming‘ steht, denn da gibt es noch Vorbehalte.“

Games gehören zur Erfahrungswelt unserer Jugendlichen.

Sibel Baran, Stadtteilschule Wilhelmsburg, Hamburg

Der Unterricht läuft ruhig ab: Zuerst steht die Internetrecherche über das zu besuchende Unternehmen an, dann das Formulieren eines Fragenkatalogs („Arbeiten Sie auch am Wochenende?“). Per E-Mail werden erste Zwischenstände an die Lehrerin geschickt, die Ergebnisse per Smartboard an die Tafel geworfen. Schnell ist zu sehen, wer sich anstrengt. Und wer ein wenig pfuscht. Die Pfuscher bekommen die Gelbe Karte.

Seit August 2014 läuft der Profilunterricht „Smart-Gaming“. Vorher hatte sie mit einer 7. Klasse während einer Unterrichtseinheit über das Zeitalter der Eroberer typische Figuren und Charaktere im Computerspiel „Sims“ nachgebaut. Mit tollem Lernerfolg, wie Schüler und Lehrerin fanden.

Zum Gaming kam sie ganz nebenbei, vor knapp drei Jahren, als sie zufällig Andreas Hedrich vom Verein jaf*  kennenlernte. Der jaf versucht seit Jahren, die kreativen Seiten von Computerspielen aufzuzeigen und für die schulische Bildung nutzbar zu machen. Sibel Baran leuchtete das sofort ein: „Ich hatte Schüler, die fast alle sehr viel spielen. Wenn ich das im Unterricht völlig ausklammere, bewegen sich die Schüler in einer Parallelwelt, von der Eltern und Lehrer keine Ahnung haben. Diese Welt haben wir jetzt im Profilkurs für den Unterricht erschlossen und genutzt.“

Drei Jahre Gaming? Klingt wie das Paradies auf Erden für einen 15-Jährigen. Aber natürlich wird nicht „durchgedaddelt“. Games lassen sich vor den Karren der Didaktik spannen, sagt Baran. Wenn man zum Beispiel aufzeigt, dass es bei Computerspielen genau wie in der Literatur und Musik verschiedene Genres gibt. Und die jetzige Projektwoche zielt ganz klar auf Berufsvorbereitung ab, eine wichtige Aufgabe an der Stadtteilschule.

„12:45 Uhr – Was jetzt nicht im Posteingang ist, wird nicht berücksichtigt. Dann habt ihr keinen Flyer und könnt nicht mitkommen“, ruft Lehrerin Baran zum Ende der Stunde. Aber keine Bange: Es haben alle geliefert.

* Verein für medienpädagogische Praxis Hamburg e. V.

Nachgefragt

Selfie: Sibel Baran mit der „Smart-Gaming“-Klasse
Selfie: Sibel Baran mit der „Smart-Gaming“-Klasse

Was läuft gut? Das Interesse der Schüler ist groß. Alle sind sehr motiviert, wenn sie etwas über Computerspiele lernen.

Was nervt? Manchmal läuft die Technik nicht so, wie man will, weil unerwartet Komplikationen bei der Anmeldung am Server auftreten oder die Internetverbindung ruckelt.

Was ist wichtig? Die mediale Ausstattung, dazu braucht es geschultes Personal und externe Experten aus unterschiedlichen Bereichen.

Was kommt? Ich glaube, ein viel differenzierterer Blick auf das Computerspiel.


Wie es mit Klappcomputern klappt

Im Neustädter Küstengymnasium wird von den Lehrkräften der Oberstufe Besonderes verlangt: Sie müssen körperlich in der Lage sein, Ladekabel auf 80 Zentimetern Höhe zu übersteigen, ohne die Laptops der Schüler von den Tischen zu reißen. Mobile Rechner sind Pflicht an der Schule, die landesweit als das „Laptop-Gymnasium“ bekannt ist. Aber „mobil“ heißt ja nicht, dass die Geräte unabhängig vom Stromnetz laufen.

Schon seit 2004 ist im Küstengymnasium die Lehre digital vernetzt. „Wir hatten die ‚Laptop-Klasse‘, bevor es das Schlagwort überhaupt gab“, sagt Ralf Hübner, stellvertretender Schulleiter, und beim Projekt von der ersten Stunde an mit dabei. Und so sah es vor elf Jahren aus: „Unsere Computerräume waren ständig überbucht, alle wollten ran an die Rechner. Irgendwer sagte: ,Warum bringen nicht alle ihre Computer von zu Hause mit?‘“ Vier Lehrkräfte waren gleich Feuer und Flamme für die Idee, praktischerweise deckten sie alle wichtigen Unterrichtsfächer ab, der damalige stellvertretende Schulleiter war auch mit an Bord. „Wir waren keine Nerds, sondern wollten einfach die Geräte sinnvoll in den Unterricht integrieren“, so Hübner. Dieser Tage gibt es dafür ein neues Schlagwort: BYOD! Das heißt: Bring Your Own Device.

Computer in der Lehre, das klappt nur, wenn die Lehrer sich wohl damit fühlen.

Ralf Hübner, Küstengymnasium, Neustadt / Holstein

Der Alltag in der Oberstufe des G8-Gymnasiums ist ab der 10. Klasse voll durchdigitalisiert. Das Zentrum bildet die Lehrplattform „Fronter“, die aus Norwegen stammt und die Hübner zum ersten Mal in der Partnerschule in Oslo ausprobierte. Auf dieser Plattform in der Cloud hat jeder Schüler seinen eigenen Raum. Der Zugang erfolgt per Internet, wo immer sich der Schüler befindet und egal mit welchem Gerät. Das Schulnetz arbeitet mit Blacklists und Whitelists, Internetseiten, die geblockt oder erlaubt sind. Alles, was die Schüler im Netz anstellen, ist später nachvollziehbar.

In „Fronter“ finden sich morgens Informationen zu Vertretungsstunden, Lehrkräfte legen Arbeitsblätter ab, im Idealfall sammelt sich hier der Lernstoff der drei Oberstufenjahre an. „Auch das Abitur wird auf dem Computer geschrieben“, sagt Hübner. Die technische Lösung, die jedes Mogeln ausschließt, haben die Neustädter aus der Schweiz. In Deutschland fand sich nichts Vergleichbares.

Wer den Schritt zum computerisierten Lernen macht, muss umdenken, an ganz überraschenden Stellen. „Computer in der Lehre, das klappt nur, wenn die Lehrer sich wohl damit fühlen und das Gerät beherrschen“, sagt Hübner. „Das funktioniert am besten, wenn sie ihr eigenes Gerät
mitbringen – und wenn sie die Lern-Infrastruktur in einem eigenen Raum so aufbauen können, wie es für sie gut ist.“ Auch die Sitz- und Arbeitsordnung wird von den Lehrkräften festgelegt. Hinzu kommen Lernzonen außerhalb der Lehrerräume. Die Schüler können sich dorthin zurückziehen für stilles Arbeiten. Das funktioniert in Neustadt ruhig, diszipliniert und völlig selbstverständlich: Wer seinen Rechner schnappt und den Klassenraum verlässt, fragt nicht mehr um Erlaubnis.

„Die Schüler sind durch den Einsatz der Medien viel selbstständiger, die Lehrkraft wird eher zum Beobachter im Hintergrund“, fasst Ralf Hübner zusammen. „Wir haben zehn Jahre lang immer wieder aufs Neue die Eltern abstimmen lassen, ob sie für den Jahrgang ihrer Kinder den Laptop-Unterricht wollen. Und das geht auf Dauer nur gut, wenn das Konzept stimmig ist.“

Nachgefragt

Selfie: Ralf Hübner in der „Laptop-Klasse“
Selfie: Ralf Hübner in der „Laptop-Klasse“

Was läuft gut? Die Aktivierung der Schüler. Sie arbeiten kompetent, engagiert und selbstverständlich mit ihren mobilen Geräten.

Was nervt? Wenn sich Lehrer um die Beschaffung neuer Birnen für die Beamer kümmern müssen.

Was ist wichtig? Ein gutes Konzept. Ist es schlecht, geht man baden!

Was kommt? Ganz neue mobile Endgeräte – warum auch nicht, wenn sie für uns gut funktionieren?


Dieser Artikel ist in der scout-Ausgabe 1_2015 erschienen.

Das könnte Sie auch interessieren: