Fünf Regeln und ein Obstsalat
„Peer-to-Peer“ – von gleich zu gleich – bringen die Hamburger Medienscouts ihren jüngeren Mitschülern bei, wie man Spaß im Web 2.0 hat, ohne in böse Fallen zu tappen.
Der Stuhlkreis ist aufgestellt, das Smartboard eingeschaltet, vor der Tür von Raum 205 des Bergedorfer Hansa-Gymnasiums drängeln sich 28 Schüler der Klasse 6a. Heute stehen die neuen Medien zwei Stunden lang auf dem Lehrplan, und statt der Klassenlehrerin wird ein Team von fünf Schülern der neunten Klasse den Unterricht leiten. Es ist der Auftritt der Medienscouts, ein Peer-to-Peer-Projekt, das im vergangenen Jahr in Hamburg gestartet wurde (siehe Infobox). Peer-to-Peer, das heißt: von gleich zu gleich. Manche Themen werden eben besser nicht von Erwachsenen vermittelt, sondern von Jugendlichen. Bei Internet und Co. haben die Erwachsenen meist sowieso keine Ahnung. „Und oft ist es auch ein zu großer Schritt, zum Vertrauenslehrer zu gehen, wenn es ein Problem gibt“, sagt der 15-jährige Medienscout Frederik. Wie das so ist mit Sechstklässlern: Zunächst wird es so laut, dass Fluglärm das kleinere Übel wäre. Dann ruft Lehrer Hannes Fröhlich, der für die Scouts am Gymnasium zuständig ist, durchdringend „Ruhe!“ und „Mützen ab!“
Und schon kann es losgehen, mit dem Spiel „Obstsalat“. Das funktioniert wie „Reise nach Jerusalem“, nur mit dem Unterschied, dass alle aufstehen und einen neuen Platz suchen müssen, die eine Frage mit „ja“ beantworten können. „Wer hat ein Handy, das ins Internet kann?“ Sechs Schüler springen auf, ein Junge bleibt ohne Stuhl. Er fragt: „Wer ist jeden Tag eine Stunde am Computer?“ Sofort rennen fast alle los, es ist ein Riesendurcheinander mit jeder Menge Geschrei. Bei der nächsten Aufgabe ist es merklich ruhiger, in drei Gruppen werden große Plakate beschriftet: Was ist gut am Internet? Was ist schlecht? Negative Punkte sind schnell gefunden: „Es frisst Zeit. Man holt sich Viren. Abhängigkeit. Mobbing.“ Frederik schaut sich ein Plakat an und sagt: „Schreibt doch auch mal was Positives! Ihr seid doch jeden Tag am Computer, also kann es nicht nur schlecht sein.“ Ein Junge sagt: „Wissen. Und Kommunikation.“
Am Fenster sitzt Tina Grimm, macht sich Notizen. Sie hat die Medienscouts an drei Wochenenden in Workshops vorbereitet auf diesen „Ernstfall“ und guckt zum ersten Mal zu, wie sich ihre Peers schlagen. Sie sollen schließlich alle fünften und sechsten Klassen des Gymnasiums an die Probleme des Web 2.0 heranführen, ohne ihnen den Spaß daran zu vermiesen. Das mit dem Spaß funktioniert auf jeden Fall, denn die Scouts haben ein gut durchmischtes Programm im Angebot. Weiter geht es mit einem kleinen Youtube-Clip auf dem Smartboard, der interaktiven Tafel: „Tanz nicht mit dem Wolf“. Eine Herde Schafe feiert ausgelassen (Zwischenruf: „Ist das ein Flashmob?“), ein Wolf macht ein Video und stellt Clips sofort ins Internet. Vor einem Monitor sitzen weitere Wölfe und feixen. Was hat das zu bedeuten? „Sollen wir jetzt nicht mehr feiern?“, fragt eine Schülerin. „Nein, das nicht. Aber ihr solltet darüber nachdenken, was andere Leute mit Fotos oder Filmen von euch anstellen können“, sagt Scout Carolin.
Schnell ist eine kleine Diskussion im Gange, als ein Schüler sagt, dass man mit Google gezielt Bilder von Leuten suchen kann, die sie auf Facebook als Profilfoto eingestellt haben. Das findet Michelle aus der 6a richtig blöd: „Wenn man später einen Job haben will, und der Chef sieht ein komisches Bild, dann ist das ja schlecht.“ Nun will Scout Carolin wissen, was „Mobbing“ bedeutet. „Andere ärgern!“ In die Zustimmung hinein sagt ein Schüler: „Mobben kann aber auch Spaß machen, nämlich dem, der mobbt.“ Ein weiterer Clip zeigt, wie schlimm es einem Gemobbten ergehen kann, doch kurz vor Schluss hängt sich der Browser auf. „Der Film hat ein Happy End“, beruhigt Frederik: „Es gibt aber auch Fälle, in denen sich die Opfer umgebracht haben!“ Vor kurzem gab es auch auf dem Hansa-Gymnasium einen Mobbing-Fall, erzählt Scout Carolin. Schüler der siebten Klasse hatten eine Seite ins Netz gestellt, auf der sie einen Mitschüler verhöhnten. Die Scouts schrieben, jeder einzeln, den Provider an, und als nichts passierte, informierten sie die Schulleiterin. Alle, die beim Mobbing mitgemacht hatten, wurden mit ihrer Tat konfrontiert, alle gemeinen Beiträge gelöscht – dank der Medienscouts gab es auch hier ein Happy End. „Die haben gemerkt, dass es so nicht geht, es ist ihnen eine Lehre“, sagt Carolin dazu.
Um in Zukunft ähnliche Fälle gleich von Anfang an stoppen zu können, stehen die Medienscouts jeden Dienstag in der siebten Stunde ihren Mitschülern mit Rat und Tat zur Seite, und das nicht nur bei Problemfällen: Welche mp3-Dateien darf ich legal herunterladen? Wie erstelle ich mir ein sicheres Profil bei SchülerVZ? Wo kriege ich Klingeltöne gratis? Weil in fünften und sechsten Klassen Chatrooms noch sehr populär sind, wird auch dieses Thema angesprochen. Wieder mit einem Schafs-Clip: Ein kleines Lamm verabredet sich im Wald mit einem Chatfreund. „Was soll ich machen, wenn sich jemand, den ich nur aus dem Chat kenne, mit mir verabreden will?“, fragt Frederik. Schnell einigen sich die Schüler darauf, dass der Wald ein komischer Ort für eine Verabredung ist, weil man ja gar nicht weiß, wer da überhaupt kommt. Im Clip war es der Wolf, den der Förster noch gerade eben mit der Flinte in der Hand verjagen konnte. „Ich würde meine Mutter mitnehmen und mich an einem Ort verabreden, wo auch viele andere Leute sind“, schlägt eine Schülerin vor und bekommt viel Zustimmung aus der Runde.
Als Resümee stellen die Scouts mit den Sechstklässlern „Die fünf Regeln“ auf, um das Gelernte zusammenzufassen. „Möglichst keine Namen nennen!“ „Niemals Unbekannte aus dem Chat treffen!“. Stille. „Da geht noch mehr!“, fordert Frederik. „Nicht für Online-Spiele zahlen.“ – „Vorsicht beim Facebook-Profil: keine peinlichen Fotos hochladen.“ So wird die Liste schnell länger als die fünf geforderten Regeln. Zum Schluss weisen die Scouts noch auf ihre E-Mail-Adresse und die Sprechstunde hin, und kaum ist der Gong verhallt, stehen sie mit Tina Grimm und Hannes Fröhlich wieder alleine im Raum. Mützen, Ranzen, Winterjacken und der ganze Rest sind binnen Sekunden verschwunden. Tina Grimm lobt die Scouts: „Es war richtig toll.“ Auch der Lehrer ist stolz auf seine Truppe: „Ich bin begeistert!“
Das Pilotprojekt der Hamburger Medienscouts ist eine Kooperation von JIZ (Jugendinformationszentrum der BSB), MA HSH und dem Referat Medienpädagogik des Landesinstituts für Lehrerbildung und Schulentwicklung. Projektträger ist der Bürger- und Ausbildungskanal TIDE. Derzeit sind an 13 weiterführenden Schulen in Hamburg Scouts im Einsatz. Interessierte Schulen wenden sich an volker.wegner@li-hamburg.de Auch in Schleswig-Holstein gibt es MediaScouts: Weitere Infos auf www.mediascouts-nord.de und www.akjs-sh.de/medienpaedagogik/mediascouts/index.html
Der Artikel ist in der scout-Ausgabe 1_2012 erschienen.