„Erwachsene müssen sich zurücknehmen“
Was leisten Peer-Projekte in Schulen und freien Einrichtungen? Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit diese Maßnahmen auch Erfolge bringen? In einer Evaluationsstudie hat Prof. Dr. Olivier Steiner in der Schweiz sieben Peer-Konzepte untersucht. Im scout-Interview berichtet er über die Ergebnisse.
Professor Steiner, wie hoch ist das Interesse an Medienkompetenzförderung und insbesondere an Peer-Projekten in der Schweiz generell?
Olivier Steiner: Das Interesse ist insbesondere durch das Programm „Jugend und Medien“ des Bundesamtes für Sozialversicherungen in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Es wurden verschiedene Initiativen angestoßen, beispielsweise Jugendmedienschutz-Tagungen, die großen Anklang gefunden haben. Publikationen wurden verfasst. Auch in der Praxis wurde viel gemacht. Durch Anschubfinanzierungen für Peer-Projekte sind auch diese stärker ins Bewusstsein getreten.
Von wem kommt diese Anschubfinanzierung?
Olivier Steiner: Der Bundesrat hat dieses Programm verabschiedet, und das Bundesamt für Sozialversicherungen hat es dann durchgeführt. Dazu gehörte auch die Förderung von sieben Peer-Projekten.
Das waren die sieben Projekte, die Sie in Ihrer Evaluationsstudie untersucht haben?
Olivier Steiner: Genau. Es gab das Bedürfnis zu wissen, ob Peer-Education wirklich zur Medienkompetenzförderung beiträgt und was die Vor- und Nachteile sind. Da haben wir zwischen 2013 bis 2015 für das Bundesamt diese begleitende Studie durchgeführt.
Was haben Sie herausgefunden?
Olivier Steiner: Das ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Die Projekte waren sehr unterschiedlich. Einige wurden an Schulen durchgeführt, andere in der offenen Kinder- und Jugendarbeit. Es wurden unterschiedliche Konzepte und Medien angewandt. Die Frage, was Peer-Education eigentlich ist, wurde im Vorhinein gar nicht geklärt. Die Projekte konnten sich mehr oder weniger selbst erfinden, was zum Teil grenzwertig war. Wir sind durch die Evaluation zu dem Schluss gekommen, dass die Kriterien zukünftig strenger sein müssen. Wir sagen, Peer-Education findet nur dann statt, wenn die Jugendlichen wirklich einen eigenen Bildungsraum gestalten und dort ihre eigenen Zugänge zu Medien finden können. Sie müssen die Inhalte selbst erstellen und die Bildungsinformationen auch an andere weitergeben können.
Jugendliche reagieren allergisch auf Präventionsbotschaften von Erwachsenen.
Geben Sie uns ein Beispiel für ein gelungenes Peer-Projekt?
Olivier Steiner: Wir hatten ein „InTeam“ genanntes Projekt zur Eingliederung von Jugendlichen mit erschwerter Erwerbsintegration. Diese wurden zu Peer-Edukatoren ausgebildet und gingen dann in die Schulen. Das passierte unter Absenz der Lehrpersonen. Das ist ein wichtiges Kriterium, dass da nicht noch Erwachsene im Hintergrund stehen und kontrollieren. Da muss man Vertrauen in die Jugendlichen haben, dass diese ihre eigenen Bildungsprozesse starten.
In Deutschland ist das so teilweise anders. Manche Lehrkräfte sagen, die Abwesenheit Erwachsener kann ein Problem sein, was Disziplin und Aufmerksamkeit betrifft.
Olivier Steiner: Interessant. Aber eigentlich müsste man darauf bestehen, dass Erwachsene abwesend sind. Natürlich kann das auch problematisch sein, weil eventuell falsche Informationen verbreitet werden. Das haben wir auch gemerkt. Andererseits hilft hier eine gute Vorbereitung der Peer-Tutoren. Wir haben für die Studie ja auch videographiert und Interviews gemacht, und was wir gehört haben war, dass das ohne Erwachsene sehr gut funktioniert hat. Aber die Tutoren waren da auch etwas älter, so etwa 16 oder 17 Jahre.
Die Jugendlichen in diesem InTeam-Projekt wurden aber auch mehrere Monate lang vorbereitet, oder?
Olivier Steiner: Das war sehr großzügig bemessen, das InTeam hatte nicht nur die Anschubfinanzierung aus dem Bundesprogramm, sondern war auch ein reguläres Projekt des Kantons. Die lange Vorbereitung war aber auch ein Aspekt für den Erfolg.
Erwachsene müssen sich zurücknehmen, zuhören und die Partizipation der Jugendlichen ernst meinen.
Sie haben die Unterstützung durch Experten positiv hervorgehoben, also durch Medienpädagogen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben. Müssen Peer-Projekte einen gewissen Professionalisierungsgrad haben?
Olivier Steiner: Ja, das würde ich grundsätzlich befürworten. Medienpädagogen sollten Kenntnisse mitbringen, wie Peer-Prozesse gestaltet werden. Aber man muss auch vorsichtig sein, um die Jugendlichen nicht durch die Einbeziehung von Profis wiederum zu erdrücken. Dieses Gefühl hatte ich bei einem der untersuchten Projekte, wo viele Experten Wissen eingebracht und Vorträge gehalten haben. Also: Professionelle Medienpädagogen ja, aber mit großer Achtsamkeit und nicht mit dem Zeigefinger oder einem Koffer voller Broschüren. Jugendliche reagieren allergisch auf solche Präventionsbotschaften von Erwachsenen. Die Autonomie in diesen Prozessen ist ein zentraler Wert von Peer-Education. Sonst entscheiden wieder nur die Erwachsenen, über was die Jugendlichen reden sollen. Das kann es ja nicht sein, sonst kann man auch klassischen Frontalunterricht machen.
Welche Rolle können Peer-Projekte in der Medienbildung zukünftig einnehmen?
Olivier Steiner: Man kann Peer-Education nicht als billige Methode ansehen, die Projekte funktionieren nicht von selbst. Es geht nicht ohne die Einbeziehung von Experten. Es sollte eine Auseinandersetzung darüber stattfinden, was den Jugendlichen wichtig ist. Erwachsene müssen sich zurücknehmen, zuhören und die Partizipation der Jugendlichen ernst meinen. Es ist schon aufwändig. Aber wenn Peer-Education richtig eingesetzt wird, würde ich die Methode als für alle Seiten lohnend ansehen.
Zur Person:
Dr. Olivier Steiner ist Professor an der Hochschule für Soziale Arbeit, Fachhochschule Nordwestschweiz, in Basel. Am Institut für Kinder- und Jugendhilfe forscht er zu den Themen Jugendgewalt und digitale Medien.
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