"Die Welt in diesen technischen Dingen verstehen"
Sollten schon Kinder lernen, wie digitale Technik funktioniert? scout hat eine Mutter und einen Vater zum Gespräch eingeladen - über Programmieren lernen, Lesen am Tablet und kindlichen Entdeckerspaß.
Stefanie Langner ist Mitgründerin des Start-ups Leankoala, einer Firma zur Qualitätssicherung von Webseiten. Sie hat einen Sohn (8) und eine Tochter (5). Thomas Möller schreibt Kinderbücher und Drehbücher fürs Kinderfernsehen, unter anderem für die „Sesamstraße“. Er hat zwei Söhne (12 und 8).
Das Gespräch führte Udo Taubitz
scout: Die Welt ist digital. Ist Computer verstehen heute wichtiger als Schreiben lernen?
Thomas Möller: Nein. Schreiben und lesen lernen ist die Grundlage für alles andere.
Stefanie Langner: Aber ich finde, man kann sich auch dabei dem Digitalen nicht verwehren. Man sollte das integrieren, denn digitale Geräte sind Teil unserer Welt. Warum nicht Lesen auch am Tablet üben?
Fragen Ihre Kinder schon mal "Siri" oder "Alexa", wie das Wetter wird? Ist ihnen dann auch bewusst, dass das eine Maschine ist und kein Mensch, der mit ihnen spricht?
Stefanie Langner: Unsere Kinder wissen, dass es keine echten Menschen sind. Und sie wissen auch schon sehr gut, wie sie Alexa für sich nutzen können. Der Sprachassistent nimmt Hürden für sie: Die Kleine mit ihren fünf Jahren kann noch keinen CD-Spieler bedienen. Aber wenn sie ruft, „Alexa, spiele bitte Bibi und Tina“, dann klappt das. Meine Tochter hat aber auch schon erkannt, dass Alexa nicht allzu schlau ist: Man muss nämlich mit ihr wie mit einem Kleinkind reden. Sonst versteht sie einen nicht.
Was wissen Ihre Kinder sonst noch über digitale Technik?
Thomas Möller: Mein großer Sohn ist 12, er hat seit anderthalb Jahren ein Smartphone. Der zeigt mir da schon mal Sachen, die ich nicht kann.
Das Anwenden ist das eine. Aber weiß er auch, wie ein Smartphone funktioniert?
Thomas Möller: Gute Frage. Wenn es zum Beispiel darum geht, welche Daten wohin und an wen übermittelt werden, darüber sprechen wir viel. Aber wie alles technisch im Kern funktioniert – das bleibt dann doch nebulös.
Stefanie Langner: Die Technik ist einfach da. Und wir nutzen sie. Das gilt für die ganze Familie. Unser achtjähriger Sohn weiß aber schon, dass Webseiten programmiert werden. Er sieht das bei seinem Papa, der das ja täglich beruflich macht. Er weiß, dass er Alexa Spiele beibringen kann, zum Beispiel „Ching-Chang-Chong“, und dass er das dann mit ihr spielen kann. Trotzdem möchte ich die Kinder nicht mit technischen Inhalten überfordern. Aber wenn sie etwas wissen wollen, erklären wir es ihnen gern.
Haben Ihre Kinder denn von selbst Interesse an Technikthemen? Stellen sie Fragen wie „Wie funktioniert ein Handy“?
Thomas Möller: Kaum. Sie bleiben doch eher bei der Nutzung: Darf diese neue App aufs Handy? Aber wie Bluetooth funktioniert, wie Bilder kabellos von einem Gerät aufs andere kommen – das ist kein Thema bei meinen Jungs. Es muss funktionieren, das reicht ihnen.
Stefanie Langner: Von selbst kommt da auch bei uns selten was auf. Aber mir ist wichtig, dass meine Kinder lernen, dass in solchen Geräten oder im Internet Dinge passieren, die von jemandem ganz bewusst so eingerichtet worden sind. Dass sich also Menschen überlegt haben, wie die Technik ihnen helfen kann, und es dann so programmiert beziehungsweise gebaut wurde.
Einfache Computer bauen, Programmieren lernen: Kommt das an den Schulen Ihrer Kinder vor?
Stefanie Langner: Bis jetzt nicht. Es gibt zwar Computer. Aber die sind so veraltet, dass es allein eine halbe Stunde dauert, sie hochzufahren. In der Grundschule finde ich es auch noch nicht zwingend nötig, Programmieren als festes Fach in den Unterricht aufzunehmen. In Form von Projektwochen wäre es dort aber auch schon sinnvoll. Programmieren funktioniert ja lösungsorientiert, es fördert logisches Denken und hilft, die Welt in diesen technischen Dingen zu verstehen. Und generell gilt natürlich: Was eine Maus ist und wie eine Tastatur funktioniert – so etwas sollten alle wissen.
Thomas Möller: An unserer Grundschule gab es jetzt in der 2. Klasse ein Projekt, für das die Kinder zum Thema Haustiere recherchieren mussten. Sie haben sich Fachbücher genommen, und sie haben zum ersten Mal versucht, am Computer an Informationen zu kommen. Mit ein bisschen Hilfe. Das fand ich gut. Aber Programmieren kam bis jetzt nicht vor – auch nicht am Gymnasium unseres älteren Sohnes. Es gab dort eine Einführung zu „Power Point“, was ich auch sinnvoll finde, aber nicht zum Thema Programmieren. Das wünsche ich mir vielleicht für spätere Klassen – und dann gerne auch als eine solche Projektwoche.
Stefanie Langner: Es gibt ja schon tolle Angebote für Kinder zum Programmieren, etwa von der „Hacker School Hamburg“, von „App Camps“ oder in den Bücherhallen. Oder Kurse mit Calliope mini, da stecken die Kinder die Platinen selbst zusammen, messen die Temperatur, wenn es sehr heiß wird, leuchtet ein rotes Lämpchen. Das ist spielerisch und schön haptisch, finde ich. Kinder haben ja Spaß am Tüfteln, am Entdecken. Ich fände es deshalb auch gut, wenn solche Projekte stärker in die Schulen hineingetragen würden.
Mädchen interessieren sich weniger für Technik als Jungs, heißt es. Ist das bei Ihnen zu Hause so?
Stefanie Langner: Meine Tochter ist ja erst fünf. Sie ist genauso heiß aufs Tablet wie ihr Bruder – aber da geht es bis jetzt natürlich weniger um die Technik, sondern ums Spielen und Filme gucken. Mir ist es aber schon wichtig, dass beide später ein gleich starkes Grundverständnis von digitaler Technik haben. Dafür braucht es weibliche Vorbilder – und geschützte Räume, also Kurse oder Unterricht nur für Mädchen.
Wozu soll man überhaupt wissen, wie Programmieren geht?
Stefanie Langner: Es gehört in der digitalen Welt einfach dazu, so wie Rechnen und Schreiben. Es ist eine wesentliche Grundlage. Man muss deswegen später nicht Programmierer werden. Aber digitale Prozesse zu verstehen, das schadet sicher nicht.
Thomas Möller: Kann man denn wirklich besser mit dem Rechner umgehen, wenn man mal ins Programmieren reingeschnuppert hat?
Stefanie Langner: Ich glaube schon. Es sollte zumindest nichts Fremdes sein. Wir werden zukünftig alle noch viel mehr mit Software zu tun haben, daher ist zumindest ein Grundverständnis wichtig. Und wenn man mehr Knowhow hat, kann man am Rechner eigene Dinge entwickeln. Die Kinder von heute werden Roboter als Kollegen haben, deren künstliche Intelligenz das menschliche Gehirn übertrumpft. Wie können wir unsere Kinder überhaupt wappnen, damit sie sich nicht als Verlierer fühlen?
Thomas Möller: Das ist etwas Grundsätzliches. Je mehr ich ein Kind stärke, für sich zu stehen, Selbstvertrauen zu entwickeln, wenn ich ihm sage, du bist toll, so wie du bist, desto mehr wird es damit klarkommen, wenn andere ihm in dieser oder jener Hinsicht überlegen sind. Es ist natürlich auch wichtig, Technik zu verstehen. Aber wenn ich einen Roboter an die Seite bekomme, ist es vielleicht noch wichtiger zu wissen, was mich selbst ausmacht.
Dieser Artikel stammt aus dem scout-Heft 2/2018: "Wir programmieren!"