Reportage

Die Wahrheitssucher

„FakeHunter Junior“ heißt das Planspiel der Büchereizentrale Schleswig-Holstein, das Schüler*innen ab der 4. Klasse zeigt, wie man Falschnachrichten enttarnt. Ein Ortstermin in der Stadtbücherei Tornesch.

Großer Auflauf vor dem Eingang zur Stadtbücherei Tornesch an einem regnerischen Dienstagmorgen: 19 maskierte Personen rufen lauthals nach Einlass. Es ist die Klasse 5a der Klaus-Groth-Schule direkt nebenan. Die Schüler*innen wollen heute Falschnachrichten hinterherjagen. Und sie haben sich gegen das Virus vermummt, nicht für einen Überfall.

„FakeHunter Junior“ heißt das Planspiel, es wurde von der Büchereizentrale Schleswig-Holstein gemeinsam mit der Aktion Kinder- und Jugendschutz Schleswig-Holstein e. V. entwickelt, „um auch schon jüngere Kinder für Falschmeldungen zu sensibilisieren“, erzählt Kathrin Reckling-Freitag von der Büchereizentrale: „Wir unterstützen so Schulen bei der Vermittlung von Informations- und Recherchekompetenz. Schülerinnen und Schüler der 4. und 5. Klassen erlernen spielerisch Methoden für den kritischen Umgang mit digitalen und analogen Medien.“ Die Große-Geschwister-Version, die nur „FakeHunter“ heißt, richtet sich an Schüler*innen der 8. Klassen. Beide werden auch von den Hamburger Bücherhallen angeboten.

An der Tür in Tornesch nimmt Bibliothekarin Kirsten Hell die Klasse in Empfang. Sie wird das Planspiel moderieren und führt dazu alle zur Workshop-Ecke im hinteren Winkel des Flachbaus. Frau Hell checkt erst einmal, was die bunte Schar überhaupt in Sachen Fake News weiß:
„Das ist, wenn man angelogen wird auf Google.“
„Wenn man falsche Infos bekommt.“
„Wenn einer sagt, er ist verheiratet, und ist es gar nicht.“
„Wenn man Aufmerksamkeit haben will oder Freunde beeindrucken möchte.“
„Und wo findet man solche Falschnachrichten?“, hakt sie nach. Zeitungen, Fernsehen, YouTube und TikTok werden genannt. Fake News gibt es also überall!

Kirsten Hell

Kirsten Hell erarbeitet nun mündlich mit den Schüler*innen einen kleinen Katalog von Fragen, mit denen man Nachrichten unter die Lupe nehmen kann. Dafür präsentiert sie eine fiktive Schlagzeile:

„Schüler lernen zu wenig – Sommerferien nur drei Wochen!“
„Was können wir tun, um das zu überprüfen?“ Schweigen im Raum … Frau Hell sagt: „Nun, wir können erst einmal die Quelle prüfen, also wo das herkommt. Klingt megakrassnews2000.de denn seriös für euch?“ Eher nicht, geben die Schüler*innen zu. Die Bibliothekarin zeigt auf dem Bildschirm die weiteren Knackpunkte, die beim Prüfen einer Quelle wichtig sind: Wer genau hat das geschrieben – und hat diese Person auch andere Dinge geschrieben? Von wann ist der Beitrag, und stimmen die Fotos dazu? Wer steckt überhaupt hinter der Seite? So lernt die 5a auch, was genau ein „Impressum“ ist.

Aber das sind alles nur Aufwärmübungen für die große Aufgabe: „Jetzt müsst ihr Fake News selbst aufspüren!“ Dazu trägt sie eine Geschichte vor, die im fiktiven Ort Seedorf spielt, wo Ole, Emma, Samira und der Roboter Robbi wohnen. Die treffen sich eines Tages und reden über einen Artikel im „Seedorfer Anzeiger“: Auf der Titelseite prangt „Ausverkauf“. Der Zeitungsbericht handelt von einem geplanten skandalösen Großbauprojekt, das in der fiktiven Gemeinde für Aufruhr sorgt. Reporter Leo Rüstig wirft einem Bauunternehmer und der Bürgermeisterin vor, gemeinsame Sache zu machen bei einem rücksichtslosen Neubau – zulasten der Natur und des örtlichen Sportplatzes. Während die Erwachsenen in Seedorf bereits eine Protestveranstaltung organisieren, zweifelt die Kinder-Gruppe noch an der Wahrheit der Geschichte. Gemeinsam treffen sie sich nach der Schule in der Bibliothek, um der Sache auf den Grund zu gehen.

Und das tun nun auch die Schüler*innen der 5a. Sie prüfen die einzelnen Aspekte und Fakten im Artikel nach. Dafür bekommen sie Arbeitsblätter mit dem ursprünglichen Artikel – und dazu Blätter mit weiteren Infos anderer Quellen, um die Inhalte zu vergleichen. Diese können auch auf Tablets gezeigt und erarbeitet werden – Frau Hell hat sich aber für Papier entschieden: „Nach meiner Erfahrung ist es in den unteren Jahrgängen so im Moment noch besser zu bearbeiten.“

Und schon geht die Fakten-Jagd los. Jeder Tisch bearbeitet ein eigenes Thema. Es wird eifrig verglichen, diskutiert, getuschelt. Stück für Stück, Fakt für Fakt, stellt sich nun heraus, dass im Zeitungsartikel über das Bauprojekt fast nichts stimmt. Zum Beispiel ist da die Sache mit den angeblich bedrohten Seekühen im Seedorfer See. Diese Tiere leben nämlich, so finden die Schüler eines Tischs heraus, in Wirklichkeit in warmen tropischen Gewässern: „Das ist denen doch viel zu weit, nach Seedorf zu schwimmen.“

In den Materialien findet sich dann der Hinweis, dass ein automatischer Unterwasserroboter namens „Seekuh“ die im Gewässer wuchernden Wasserpflanzen mäht! Und so purzeln in der halben Stunde Gruppenarbeit die falschen Fakten des Artikels, einer nach dem anderen. „Wie kann man nur so einen Quatsch schreiben, oder!?“, ruft Kirsten Hell in die Runde. Die Schüler*innen, die das Gemisch aus böswilligen Unterstellungen und Schlampereien gemeinsam enttarnt haben, stimmen nickend zu. „Wer falsche Sachen behauptet, kann manchmal auch für ein paar Jahre in den Knast kommen!“, ruft ein Schüler. Zum erfolgreichen Abschluss ihrer Jagd nach Falschmeldungen gratuliert die Bibliothekarin:
„Jetzt seid ihr richtige FakeHunter!“

Gut, dass man falsche News herausfinden kann!

Schüler*innen der Klasse 5a der Klaus-Groth-Schule in Tornesch

Nächster Punkt: „Wo findet man denn vertrauenswürdige Fakten im Netz?“ „FragFinn, Google, Wikipedia“, antwortet ein Mädchen. „Das finde ich toll, dass du FragFinn genannt hast. Manche sagen ja, FragFinn und Blinde Kuh seien Suchmaschinen für Babys. Aber alles, was man dort findet, stimmt auch, weil sich da gute Leute drum kümmern.“ Bei Google hingegen, sagt Frau Hell, sind „gut recherchierte Sachen drin, genauso aber auch fragwürdige und schlecht recherchierte. Manchmal auch falsche.“

Die zwei Stunden sind schnell vorbei und die Schüler*innen der 5a im Nu wieder draußen. „Die haben toll gearbeitet“, freut sich Kirsten Hell: „Aber ein gutes Textverständnis hilft bei diesem Spiel. Für jüngere Schüler*innen ist das Spiel vielleicht noch schwierig.“ Je fünfmal hat sie seit ihrer Weiterbildung die FakeHunter- und FakeHunter-Junior-Planspiele durchgeführt. Ohne Corona wäre mehr möglich gewesen, sie hofft also, dass es noch viel mehr werden in Zukunft: „Das macht Spaß und bringt wirklich was.“

Das würde auch Klassenlehrerin Anna Kodadad unterschreiben. Sie führte eine kleine Nachbesprechung mit den Schüler*innen durch: „Insgesamt gab es nur positive Rückmeldungen – und es kamen Antworten wie ‚Blöd, dass Leute Dinge schreiben, die nicht stimmen‘ und ‚Gut, dass man falsche Nachrichten herausfinden kann‘.“ Einigen sei es teilweise zu viel Textarbeit gewesen und auch zu viel Zuhören. Sie selbst hätte sich, so die Lehrerin, mehr Nutzung von digitalen Medien im Workshop durch die Schüler*innen gewünscht. Sie resümiert: „Ich finde es wichtig, den Umgang mit Medien früh und regelmäßig zu thematisieren, und dazu gehört auch der kritische Umgang mit Informationen. Ich finde die Veranstaltung sinnvoll und würde sie weiterempfehlen!“

Für Hamburg gibt es Infos unter fakehunter@buecherhallen.de