Lübeck

Der größte sichere Surfraum der Welt

Illustration: Gina Müller

Zwei Lübecker Viertklässler gucken gespannt auf das Ergebnis der Suchmaschine. Und scheinen fast ein bisschen enttäuscht. Denn angezeigt wird kein Nacktfoto oder Sexvideo. Sondern die Beschreibung eines Dokumentarfilms über weggeworfene Lebensmittel. Was der Autor „pervers“ findet. Gerade eben noch hat hier in der Lübecker Stadtbibliothek eine Gruppe von Erwachsenen die Pressekonferenz „Lübecks Kinder surfen sicher“ abgehalten. Jetzt führen die Kinder der 4. Klasse einer Lübecker Grundschule an den bibliothekseigenen Computern vor, wie das genau funktionieren soll.

Über die Schultern der Grundschüler schaut Birgit Reichel, Leiterin des Lübecker Jugendschutzes, und das sichtlich zufrieden. Seit einigen Jahren schon treibt das Jugendamt Lübeck zusammen mit dem Schulamt der Hansestadt die Medienkompetenz in der flächenmäßig größten Stadt Schleswig-Holsteins voran: Kinder im Netz stärken, dabei die Chancen nutzen, ohne die Risiken aus den Augen zu verlieren. Das neue Projekt, das zusammen mit der MA HSH aufgelegt wurde, fokussiert auf den technischen Schutz von Kindern und Jugendlichen vor problematischen digitalen Medieninhalten.

"Die größten Gefährdungen im Internet geschehen ungewollt, wenn die Kinder eigentlich etwas ganz anderes aufrufen möchten. Die Wucht solcher Inhalte ist umso stärker, wenn sie nicht erwartet werden", weiß Lübecks parteilose Kultursenatorin Kathrin Weiher, die gleichzeitig für Schule, Sport und Jugend zuständig ist.

Die Antwort der Lübecker ist nun die Einrichtung des „größten geschützten Surfraums für Kinder weltweit“, wie in den Projektunterlagen steht. Möglich macht das die Kooperation mit den Machern des einzigen anerkannten Jugendschutz-Programms in Deutschland, das JusProg heißt.

JusProg funktioniert auf PCs wie auf mobilen Endgeräten. Kern des Programms sind Filter, die mit sogenannten Whitelists und Blacklists arbeiten. Für Whitelists durchsuchen echte Menschen das Netz nach für Kinder geeigneten Seiten und geben diese frei. Alle anderen Seiten müssen leider draußen bleiben. Für die Blacklists fahnden Menschen und kleine Roboterprogramme – die sogenannten „Crawler“ – gemeinsam nach bedenklichen Inhalten auf Internetseiten. Die werden dann blockiert.

Für die Altersgruppe der Sechs- bis Zwölfjährigen hat JusProg neben den selbst gefundenen unbedenklichen Angeboten unter anderem jene freigeschaltet, die mit der Kindersuchmaschine FragFinn angesteuert werden können. FragFinn verfügt über eine umfangreiche Whitelist von geeigneten nationalen und auch internationalen Seiten. Schwächen zeigte FragFinn bisher im lokalen Bereich: Denn oft sparte die „weiße Liste“ ausgerechnet solche harmlosen Seiten aus, die für junge Surfer vor Ort von Interesse sein könnten: das Schwimmbad, den Sportverein, die Bibliothek.

„Wir haben schlicht nicht die Kapazitäten, um in ganz Deutschland auch alle kleineren Anbieter zhu überprüfen. Deshalb sind regionale Webseiten häufig für Kinder zunächst nicht erreichbar“, erläutert Stefan Schellenberg, Vorsitzender von JusProg e.V. „Für Lübeck haben wir nun gezeigt, wie Kinder alle tollen Seiten geschützt erleben können.“ Da liegt der Wunsch auf der Hand, dass sich möglichst viele Städte im Norden ein Vorbild an Lübeck nehmen.

Illustration: Gina Müller

Über 2.000 für den Nachwuchs geeignete Websites aus Stadt und Region wurden so aufgespürt und zusätzlich in die Whitelist eingetragen. Das Angebot richtet sich insbesondere an Kinder zwischen sechs und elf Jahren. Ab zwölf Jahren empfiehlt JusProg das Surfen über eine Blacklist. Eltern haben aber in beiden Fällen die Möglichkeit, die Listen selbst zu ergänzen: also den „Weißlisten“ weitere ihrer Meinung nach geeignete (oder erwünschte) Seiten hinzuzufügen. Eltern können auch grundsätzlich erlaubte, aber als nicht angemessen empfundene oder unerwünschte Seiten über die „Schwarzliste“ zusätzlich sperren. JusProg ist kostenlos und bietet im Übrigen auch die Einrichtung von Zeitkonten.

Wenn man sich diese Vorteile von JusProg vor Augen führt, sollte man ja meinen, endlich die Lösung aller medienpädagogischen Probleme gefunden zu haben. Das ist allerdings leider nicht ganz so. Und das vor allem aus einem wichtigen Grund, den Mark Bootz von www.jugendschutz.net unlängst bei einer Onlinekonferenz zum Thema „Technischer Medienschutz“ zu bedenken gab: dass nämlich eine große Zahl von Kindern und Jugendlichen heute kaum noch mit dem PC surft. Sondern vor allem die beliebten Social-Media-Seiten mit mobilen Endgeräten direkt über die Apps der Anbieter ansteuert. JusProg allerdings funktioniert ausschließlich dann, wenn die Seiten über einen Browser aufgerufen werden.

Eltern gibt solcher Schutz mehr Ruhe und Gelassenheit.

Birgit Reichel

Insofern ist der Ort für die Lübecker Pressekonferenz gut gewählt. Denn in Bibliotheken und auch in Schulen treffen die Kinder meist auf stationäre Geräte, die keine Apps kennen. Birgit Reichel stellt auch klar, dass technischer Jugendmedienschutz die Eltern nicht davon freistellt, sich weiterhin darum zu kümmern, was und wie der Nachwuchs konsumiert: „Aber ein solcher Schutz gibt Eltern hoffentlich schon einmal mehr Ruhe und Gelassenheit.“

Außerdem gibt es neben JusProg noch viele weitere technische Schutzmöglichkeiten. Leider werden diese Schutzoptionen kaum genutzt, ist die Erfahrung von Medienpädagogen. Weil Eltern sie nicht kennen. Oder weil sie denken, die Vorkehrungen seien viel zu kompliziert.

Aber das stimmt so nicht. „Wer schon einmal selbst Software heruntergeladen und installiert hat, der kommt auch mit JusProg und den anderen Möglichkeiten des technischen Schutzes klar“, sagt Silke Häußler, die seit drei Jahren das Projekt „Kinder- und Jugendschutzsoftware“ in den Hamburger Bücherhallen durchführt. Sie glaubt, dass grundsätzlich alle Formen von Schutz positiv sind: „Weil sie den Kindern zeigen, dass ihre Eltern sie schützen wollen. Lernen Kinder diesen Schutz von Anfang an kennen, also schon, wenn sie mit den Eltern erstmals online gehen, dann gehört er ganz einfach dazu.“

Es gibt keine Sofa-Funktion!

Henning Fietze vom Offenen Kanal Schleswig-Holstein

Regelmäßig veranstaltet auch Henning Fietze für den Offenen Kanal Schleswig-Holstein und mit den Büchereien im Land das „FilterCafé!“ zum technischen Jugendmedienschutz. „Da ergeben sich immer sehr schnell intensive Elterngespräche“, erzählt Fietze. Diesen Eltern sagt er dann: „Es gibt keine Sofa-Funktion!“ Also keine Einstellung und keinen Filter, der Eltern von der Aufgabe entbindet, den Kindern die sinnvolle und gleichzeitig möglichst risikolose Nutzung des Internets beizubringen.

Zurück in Lübeck. Lehrerin Gabi von Kleist sammelt ihre Schüler wieder ein. Einzelne Schüler haben die Chance genutzt und nach Büchern für die großen Ferien gestöbert. Andere haben FragFinn weiter mit Fragen bombardiert. Stefan Schellenberg und Birgit Reichel stehen nun beieinander und resümieren. Sie zeigen sich beide zufrieden. „Jetzt müssen nur noch die Lübecker Eltern mit uns an
einem Strang ziehen und JusProg installieren“, sagt die Jugendschutzleiterin lächelnd. Die Infos dazu gibt es ab sofort auf www.luebecks-kinder-surfen-sicher.de


Dieser Artikel stammt aus dem scout-Heft 2/2017: "Kinder im Netz schützen!"

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